Laufzeit-Vorteil AMOLED
Überraschend wenig Platz hat Huawei dem Akku zugestanden. Denn obwohl das Gehäuse der Mate grob 20 % mehr Volumen als das des P8 bietet, fällt die Kapazität mit 2.700 mAh nicht einmal 1 % größer aus. Dass es in den synthetischen Tests dennoch für eine mittlere Platzierung reicht, liegt in erster Linie am Display. Dessen AMOLED-Panel ist in vielen Situationen sparsamer im Umgang mit dem Akku. In der Video-Schleife erreicht das Mate S bei einer Helligkeit von 200 cd/m² rund 9,5 Stunden und damit etwa 50 % mehr als das P8. Zum Vergleich: Das Samsung Galaxy S6 erreichte im Test bei etwas kleinerem Display und 5 % kleinerem Akku nur zwei Stunden weniger. Im PCMark, der mehr Leistung abruft, schaffte das Mate S immerhin 6,5 Stunden und damit rund ein Viertel mehr als das P8.
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Im Alltags-nahen Test verhielt sich das Smartphone unauffällig. Am frühen Morgen vom Ladegerät getrennt, hielt es bis zum späten Abend des Folgetags durch. Mit zwei unterschiedlichen Energiesparmodi lässt sich die Betriebszeit weiter steigern, die Ultra-Einstellung verspricht eine Verdoppelung – allerdings auf Kosten zahlreicher Funktionen, viel mehr als Telefonieren ist dann nicht mehr möglich.
Negativ fällt auf, dass Huawei erneut auf fast alle neueren Komfortfunktionen beim Laden des Akkus verzichtet. Zwar kann mit bis zu 10 W geladen werden, per Quick Charge werden derzeit aber schon 15 W erreicht. Zudem kann der Akku nicht drahtlos geladen werden. Dass er fest verbaut ist, ist man von den Topmodellen der Chinesen inzwischen gewöhnt.
Huawei arbeitet an der Software
Während Huawei sich in Sachen Hardware also weitestgehend auf bewährte Lösungen beschränkt, gibt es Software-seitig zahlreiche Neuerungen. Ausgerechnet die, der die meiste Zeit der Präsentation gewidmet wurde, fehlt jedoch. Denn ob und wann Force Touch wirklich in Form einer Premium-Variante des Mate S in den Handel kommt, bleibt abzuwarten; bislang gibt es weder Preis noch Termin. Ein Grund hierfür dürfte die geringe Anzahl an Funktionen sein. Denn anders als bei Apple macht Huawei von der Technik nur wenig Gebrauch. Dafür hat man an zahlreichen anderen Stellen Zeit investiert, um ein möglichst komplettes Paket zu schnüren. An gleich zwei Stellen wirbt man dabei mit Version 2.0: Beim Fingerabdrucksensor und bei der Steuerung per Fingerknöchel.
Der Fingerabdrucksensor fällt kleiner als beim Ascend Mate 7 aus, kann diesen aber in allen anderen Belangen klar schlagen. Die Erkennung ist noch präziser und schneller, zudem kann er nun auch für die Bedienung des Smartphones genutzt werden. So lässt sich per Fingerwisch die Benachrichtigungszentrale ein- und ausblenden, ebenso kann auf diesem Wege gescrollt, ein Foto geschossen oder ein Anruf angenommen werden. Auf Wunsch können auch die Funktionen der typischen Android-Bedienelemente auf die Rückseite gelegt werden.
Die Steuerung per Fingerknöchel kennt man bereits vom P8, im Mate S sind nun aber einige Funktionen hinzugekommen. So lassen sich per Doppel-Tab Screenshots erstellen, ebenso können bestimmte Bildschirminhalte markiert und kopiert werden – ähnlich wie Samsung es mit dem S Pen handhabt. Wer vorher festgelegte Buchstaben auf das Display „malt“, kann so schnell die Kamera, den Browser oder andere Anwendungen starten. Bis man die diversen Kommandos verinnerlicht hat, dauert es einige Tage, die Bedienung kann so aber spürbar vereinfacht werden. Allerdings irritiert so mancher Fehler, beispielsweise beim Aufruf der Kamera. Erfolgt dies per Wischgeste auf dem Lockscreen, muss das Gerät weder per Pin, noch per Fingerabdruck entsperrt werden. Anders hingegen beim gezeichneten „C“: Hier startet die App erst nach der Entriegelung.
Den Produktiveinsatz etwas attraktiver machen will man mit verschiedenen neuen Funktionen. Bei der Aufzeichnung von Gesprächen sollen die drei bereits genannten Mikrofone für eine Verbesserung der Aufnahmequalität sorgen – tatsächlich klingen die Aufnahmen überraschend gut, so lange die Entfernung zur Audio-Quelle nicht zu groß ist. Wer hingegen den Inhalt von Tafeln, Dokumenten und ähnlichem schnell erfassen will, kann auf einen speziellen Modus der Kamera-App zurückgreifen. Denn mit der Dokumentenneuausrichtung spielt der Winkel zwischen Kamera und Motiv kaum noch eine Rolle, die Software sorgt für einen Ausgleich. In vielen Fällen funktioniert dies zuverlässig, allerdings benötigt das Mate S für die Berechnungen viel Zeit.
Als Basis für all dies kommt Android 5.1.1 zusammen mit der eigenen Oberfläche EMUI 3.1 zum Einsatz. Von der Originaloberfläche bleibt damit nicht viel übrig, die größten Abweichungen betreffen den App Drawer; installierte Apps werden nicht in einem separaten Fenster, sondern rechts des Homescreens angezeigt. Wie gehabt kann das Design der Benutzeroberfläche in vielen Punkten den eigenen Vorstellungen entsprechend angepasst werden.
Die Kameras sind alte Bekannte
Einfach gemacht hat es sich Huawei in Sachen Kameras. Denn beide Module werden so auch im P8 verbaut, die einzige Abweichung findet man auf der Front. Denn für bessere Aufnahmen bei schlechtem Licht soll ein LED-Blitz sorgen. Tatsächlich hält sich die Verbesserung in Grenzen. Bei guten Lichtverhältnissen gefallen die Aufnahmen des 8-Megapixel-Sensors hingegen. Zwar könnte die Lichtstärke mit Blende f2.4 besser sein, für Selfies am Tage oder Video-Chats reicht das Gebotene aber mehr als aus.
Auf der Rückseite bleibt es bei 13 Megapixeln, einem Sensor mit RGBW-Matrix für einen besseren Weißabgleich sowie einer Lichtstärke von f2.0 und einem optischen Bildstabilisator. Am helllichten Tag oder unter vergleichbaren Bedingungen bieten die Aufnahmen weitestgehend natürliche Farben sowie zahlreiche Details. Allerdings tut sich die Kamera mit lokal begrenzten starken Unterschieden zwischen hell und dunkel schwer, hier wirken Flächen schnell überbelichtet. Abhilfe schafft hier lediglich der Wechsel in den HDR- oder Pro-Modus; letzterer bietet die Möglichkeit, die üblichen Parameter wie Belichtungszeit oder ISO manuell einzustellen. Ähnlich wie beim P8 treten Bildfehler wie Bildrauschen erst sehr spät auf, allerdings gehen Helligkeitsunterschiede früher als beim kleineren Schwestermodell verloren. Das Ergebnis sind dann leicht trüb und matschig wirkende Fotos. Der verbaute Dual-LED-Blitz mit seinen zwei farblich unterschiedlichen Dioden ist auf Entfernungen zwischen ein und drei Metern hilfreich und verfälscht nur wenig.
Wer stattdessen Videos drehen möchte, muss sich auf die gleichen Stärken und Schwächen einstellen. Wie auch beim P8 bleiben Artefakte lange aus, trotz des abermals schnelleren SoCs ist mehr als Full HD nicht möglich.
Aber nicht nur die Kamera-Hardware hat Huawei beinahe unverändert übernommen. Auch an der Software hat sich kaum etwas verändert. Geboten werden diverse Modi und Filter, die übersichtlich verteilt sind, eine HDR-Automatik fehlt noch immer. Immerhin verarbeitet das Mate S HDR-Aufnahmen etwas schneller als das P8.
Fazit
Mit dem Ascend Mate 7 setzte Huawei im vergangenen Herbst ein Ausrufezeichen, mit dem P8 legte man im Frühjahr nach und konnte das bislang beste Smartphone aus eigener Fertigung präsentieren. Das Mate S soll diese Leistung nun wiederholen – das Konzept geht aber nicht ganz auf. Denn in zu vielen Punkten hat man sich auf die Stärken der beiden Vorgänger verlassen, ohne jedoch dem technischen Fortschritt Tribut zu zollen. Denn wo die Oberklasse-Konkurrenz schnelles WLAN und schnellen Arbeitsspeicher bietet, verlässt Huawei sich auf Technik, die allenfalls in der Mittelklasse noch als aktuell bezeichnet werden darf.
Andererseits zeigt man aber auch, was mit einer Frischzellenkur so alles möglich ist. So bietet der weiterentwickelte Fingerabdrucksensor, der schon im P8 überzeugen konnte, eine noch bessere Erkennungsrate und interessante neue Funktionen, ebenso die erweiterte Bedienung per Fingerknöchel. Diese erfordert zwar eine gewisse Eingewöhnungszeit, kann den Umgang mit dem Mate S aber spürbar erleichtern. Geteilt fällt das Fazit zum Display aus. Einerseits gefällt die Anzeige mit ihrer sehr guten Farbdarstellung, anderseits ist sie etwas zu dunkel. Die Pentile-Matrix kann man verschmerzen, die umständliche Optimierung der Farbtemperatur hingegen nicht. Ähnlich sieht es bei der Kamera aus: Den guten Ergebnissen am Tag kommen die allenfalls durchschnittlichen Aufnahmen bei nicht optimalen Bedingungen in die Quere. Keine Zweifel gibt es hingegen hinsichtlich des Gehäuses. Hier zeigt Huawei erneut, dass man in puncto Haptik und Verarbeitung so zu den Besten der Branche gehört – in keinem anderen Punkt strahlt das Mate S so viel Oberklasse aus.
Für eine klare Empfehlung reicht dies aber nicht. Denn wer in der Oberklasse mitspielen will, muss die entsprechenden Qualitäten mitbringen. Bezieht man den Preis mit ein, fällt die Gesamtnote noch schlechter aus. Denn direkte Konkurrenten wie das Galaxy S6 oder das G4 sind mit 32 GB internem Speicher bereits für etwa 500 und 450 Euro erhältlich, das P8 wird von Händlern für 400 Euro angeboten.
Am Ende ist das Mate S ein interessantes Nischengerät, das einen möglichen Ausblick auf den Nachfolger des Ascend Mate 7 gewährt.
Positive Eindrücke des Huawei Mate S:
- hervorragende Verarbeitungsqualität
- Speicher erweiterbar
- AMOLED-Panel mit guter Farbdarstellung
- überzeugender Fingerabdrucksensor
- alternative Bedienmöglichkeiten
- hohe Systemleistung
- gute Akkulaufzeiten
Negative Eindrücke des Huawei Mate S:
- Akku fest verbaut
- keine zeitgemäße Ausstattung
- zu dunkles Display
- Farbtemperatur muss manuell optimiert werden
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