Aus meiner Sicht ist das hier eine wunderschöne Sozialstudie, die verschiedene Dinge aufzeigt. Zum einen gibt es Menschen, die mit bestimmten Menschen Kontakt pflegen möchten, aber von anderen Menschen nichts wissen wollen. Die größte Sorgen scheint nun zu sein, dass man durch das neue System wieder erreichbar wird oder sich neue Ausreden ausdenken muss, warum man eine Nachricht erst Monate später gelesen hat (da man diese "aus Versehen" übersehen hat, blödes Facebook eben). Diese User dürfen aber meiner Meinung nach aufatmen. Sie können nämlich ganz einfach auf nicht willkommene Menschen zugehen und ihnen erklären, warum sie nichts mit ihnen zu tun haben wollen.
Anscheinend ist aber niemand dazu in der Lage. Wir sind also technisch so weit, dass wir gewichten können, wen wir mehr und wen wir weniger wahrnehmen - weil wir als Menschen wohl nicht mehr in der Lage sind, vorab zu filtern. Wir können oder wollen nicht mehr selektieren, wen wir in unseren engsten Informationskreis aufnehmen. Wir nehmen lieber alle auf, weil wir so offen sind. Aber eigentlich wollen wir selektieren. Weil uns das aber unangenehm ist, lassen wir virtuelle Systeme für uns selektieren, anstatt es selbst zu erledigen. Verständlich, dass durch das Bezahlsystem auf einmal wieder ein neues Problem auftritt. Ich wette, dass es in nächster Zeit eine Bezahlfunktion geben wird, die bestimmte Absender wieder filtert und gleichzeitig eine automatische Antwort generiert, die den Anschein erweckt, man hätte die Nachricht gelesen. Sollte man aus irgend einem Grund darauf angesprochen werden, wird einem sicherlich eine Lüge einfallen. Hauptsache man wahrt den Schein und sagt den Leuten nicht, dass man eigentlich kein Bock auf sie hat.
Interessant ist aber auch der Spam-Aspekt. Er zeigt, wie wir stets bombardiert werden mit Dingen die uns nicht interessieren. Man befürchtet also eine Spam-Katastrophe, da Spammer jetzt mit einer minimalen Investition wieder etwas mehr Aufmerksamkeit erlangen können. Noch mehr Werbung, noch mehr Betrügereien. IMHO sind mind 50% der Werbeflut selbstverschuldet. Keine Ad-Blocker, keine Script-Blocker, keine Tracker-Blocker, Cookies für ewig ins System gemeißelt, Klick-König in User vs Advertisment III, etc pp. Trotz massiver Nutzung des Internets scheint ein großer Teil der User nicht wirklich zu verstehen, was vor dem Bildschirm passiert. Es müssen nicht alle IT-Experten sein, aber so grundlegende Mechanismen sollte man schon verstanden haben. Es ist die Inkompetenz einer Vielzahl von Usern, die das Spam-Geschäft überhaupt am Leben hält. Und das in einer Gesellschaft, die sich als fortschrittlich bezeichnet?
Wer da nicht schmunzelt, fühlt sich vermutlich angesprochen
Aber was sagt das aus? Vllt, dass jeder angeblich Kompetenz-Weltmeister ist, aber nur die wenigsten wirklich einen Pokal im Regal stehen haben. Das ist doch irgendwie typisch für die Netzgesellschaft. Oberflächliches Auseinandersetzen mit der Thematik, vermeintlich absolute Erkenntnis über alle Dinge, kaum kritikfähig, auf individuelle Standpunkte beharrend, usw. Oder ist das gar nicht die Netzgesellschaft? Vllt ist das die Gesellschaft, wie sie wirklich ist? Vllt ist das Netz der Ort, wo das Innere nach Außen gekehrt wird? Wo Menschen so sind, wie sie eigentlich wirklich sind? Gerade in Bezug auf Facebook, wie darüber gesprochen wird, worüber sich manche Menschen aufregen, was sie toll finden, was sie von anderen Leuten bei FB halten, usw - all diese Reaktionen der Befürwörter und Kritiker zeichnen ein sehr schönes Bild davon, wie manche Leute eigentlich wirklich ticken. Diese Kleinigkeiten, diese nichtigen Aussagen und Kommentare hebeln die Selbstdarstellung aus, lüften den Schleier hinter dem sich die Wortmelder verbergen und ermöglichen den Blick in die Gedankenwelt der Einzelnen. Sicherlich sind diese Eindrücke subjektiv und man mag vor allem das finden, wonach man sucht. Aber man sieht auch, dass viele Menschen überhaupt nicht bereit für ein System sind, welches wir uns eigentlich so sehr herbei sehnen: ein transparentes, moderates, nicht kontrolliertes, freies, demokratisches und tolerantes System. Das Verhalten verschiedener Teilgruppen der User (Trolle, Hater, Kriminelle, Cracker, etc) sowie der Kontrollwahn der Autoritätsinstanzen zeigt, dass man mit dieser Technologie nicht so wirklich umgehen kann bzw. mit der Freiheit selbst. Wenn der virtuelle Raum bestimmten Regeln unterworfen werden muss, was sagt das dann über die Realität bzw über die Mündigkeit der Gesellschaft aus?
Die Entwicklung zeigt auch auf, als was das Internet wahrgenommen wird. Mit der Einführung der Gebühr versieht man virtuelle Nachrichten mit Briefmarken. Facebook verlangt Porto für bestimmte Mitteilungen und vermutlich auch bald für reguläre Kommunikation. Das Abo wird kommen. Zum einen, weil man bestrebt ist, noch mehr Geld zu machen, denn es wird nach wie vor kommuniziert. Kommunikation ist Internet. Es geht im Grunde nur darum. Warum sollte man also nicht dafür Geld verlangen, was für alle essentiell ist? Zudem fallen auch Kosten an - verständlich, dass man für den Ausbau das Systems nicht unbedingt hart verdientes Geld investieren will, welches man ja einfach für private Zwecke ausgeben möchte, sondern diese nötigen Summen lieber anderweitig finanziert. Aus wirtschaftlicher Sicht ist das der einzig logische Schritt, die Gewinnmaximierung voran zu treiben und gleichzeitig das System weiter zu verbessern. Durch das Gefühl etwas Gutes zu tun wird niemand reich.
Es geht also um Geld. Innovation soll Früchte tragen und nicht kostenlos abgegriffen werden. Nachvollziehbar aber auch irgendwie schade. Und es zeigt: Dankbarkeit ist eine Sache, aber der Kontostand beruhigt, gibt ein Gefühl von Sicherheit, bereitet Freude und verhilft unter Umständen zu persönlichem Glück. Alles Dinge, die einmal durch Menschen bewirkt wurden. Was hat das mit dem Internet zu tun? Im Grund so viel: es wird kalt und distanziert. Man mag zusammenrücken, denn Asien ist nun näher als zuvor. Aber die Interaktionen nehmen ab. Ein Blick auf die Schulhöfe und Gespräche zwischen jungen Menschen zeigt, dass das Gerät wichtiger ist, als der Mensch der vor einem steht.
Obwohl das Internet dem Austausch dienen soll, wird doch irgendwie das Gegenteil erreicht. Aber vllt ist das virtuelle Porto genau das, was wir brauchen. Vllt schicken wir dann nur noch wichtigen Leuten eine virtuelle Nachricht. Als noch Briefe geschrieben wurden, war das nämlich auch so. Und vllt hat man dann durch eine Abnahme der virtuellen Kommunikation (da kostenpflichtig) wieder etwas mehr Zeit für reale Kommunikation? Dem einen oder anderen würde es sicherlich mal ganz gut tun, sich mit seinem Gegenüber auseinander zu setzen, anstatt in eine Welt zu tauchen, die lediglich virtuelle Liebe zu bieten hat?