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Immer mehr findet unser Leben im digitalen Raum statt. Das hat aber nicht nur viele Vorteile, sondern auch seine düsteren Schattenseiten. Die Überwachung selbst intimster Lebensbereiche ist prinzipiell in einem so nie dagewesenen Ausmaß möglich - und von verschiedener Seite gibt es durchaus Interesse daran, Gebrauch von dieser Möglichkeit zu machen. Das verdeutlichten zuletzt vor allem die Enthüllungen des Chaos Computer Clubs (CCC) zum Thema Bundestrojaner (wir berichteten), aber z.B. auch die Debatte über fragwürdigen Datenabgriff durch EAs Spieleplattform Origin (wir berichteten).
Jetzt steht eine weitere Schnüffelsoftware im Fokus, die allerdings ein etwas anderes Ziel verfolgt. Das Blog netzpolitik.org hat heute aufgedeckt, dass die Bundesländer mit Schulbuchverlagen und Verwertungsgesellschaften eine unheilige Allianz eingegangen sind, um Schulrechner nach illegalen Kopien von Unterrichtsmaterialien durchforsten zu können. In Rechtsform gegossen wird diese Vereinbarung im sogenannten "Gesamtvertrag zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen nach § 53 UrhG". In der aktuellen Fassung wurde dieser Vertrag bereits Ende 2010 geschlossen, ab nächstem Frühjahr kann der "Schultrojaner" laut Paragraph 6, Absatz 4 zum Einsatz kommen:
"Die Verlage stellen den Schulaufwandsträgern sowie den kommunalen und privaten Schulträgern auf eigene Kosten eine Plagiatssoftware zur Verfügung, mit welcher digitale Kopien von für den Unterrichtsgebrauch an Schulen bestimmten Werken auf Speichersystemen identifiziert werden können. Die Länder wirken – die technische und datenschutzrechtliche Unbedenklichkeit der Software vorausgesetzt – darauf hin, dass jährlich mindestens 1 % der öffentlichen Schulen ihre Speichersysteme durch Einsatz dieser Plagiatssoftware auf das Vorhandensein solcher Digitalisate prüfen lässt. Der Modus der Auswahl der Schulen erfolgt – aufgeschlüsselt nach Ländern und Schularten – in Absprache mit den Verlagen auf Basis eines anerkannten statistischen Verfahrens. Die Überprüfungen erfolgen ab Bereitstellung der Software, frühestens jedoch im 2. Schulhalbjahr 2011/2012."
Während die Verlage also die Bereitstellung der Schnüffelsoftware übernehmen, haben die Schulträger sich dazu verpflichtet, sie auf den Schulrechnern installieren zu lassen. Doch die Schulträger verpflichten sich sogar auch noch dazu, gegen die eigenen Schulleiter und Lehrer vorzugehen, wenn der Späheinsatz erfolgreich sein sollte. Zusätzlich zu den zivil- und strafrechtliche Anspru?chen der Rechteinhaber würden sie dann auch noch mit disziplinarischen Maßnahmen konfrontiert werden. Diese Vereinbarung wirft eine ganze Reihe von Fragen auf, gerade auch juristischer Natur. Der Verfassungsrechtler Ulf Buermeyer hat sich in einem Statement bereits überaus kritisch zum Einsatz von Schnüffelsoftware gegen Lehrer geäußert:
"Verfassungsrechtlich jedenfalls dürfte man sich auf extrem dünnem Eis bewegen: Ein Komplett-Scan auf einem Computer greift wohl in das Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität eigengenutzter informationstechnischer Systeme ein. Dabei ist es übrigens egal, wem die gehören: Wenn eine Schule einen Rechner kauft, aber den zB einem Lehrer zur eigenen Nutzung zuweist, steht dem Lehrer (!) das Grundrecht zu, auch wenn er nicht Eigentümer des Rechners ist. Eine solcher Schnüffelangriff wäre daher nur mit Zustimmung des Lehrers (o.ä.) und ansonsten unter den extrem hohen Voraussetzungen des Computer-Grundrechts zulässig. Schnöde Profitinteressen der Urheberrechtslobby gehören jdf. nicht zu den danach schutzwürdigen Gütern."
Abgesehen von den juristischen Implikationen knüpfen sich natürlich besonders moralische Fragen und Fragen nach dem Zustand unseres Bildungssystems an das Ausspähen von Schul-PCs:
- Wie kann es überhaupt möglich sein, dass Lehrer sich dazu bewegen lassen, Lehrmaterial als Plagiat anzueignen?
- Sollten Politik und Verlage nicht eigentlich alles daran setzen, dass Lehrer optimal mit Lehrmaterial versorgt werden, um das eigentliche Ziel, die Bildung ihrer Schüler, bestausgestattet verfolgen zu können?
- Wieso kann kommerzielles Interesse über das Ziel Bildung gestellt werden, wenn sich gleichzeitig alle Bildung ist Zukunft auf die Fahnen schreiben?
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