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Websperren, Wikileaks & Co.; ein Kommentar zum Thema Netz- und Sicherheitspolitik

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Websperren, Wikileaks & Co.; ein Kommentar zum Thema Netz- und Sicherheitspolitik
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Heiß diskutierte und damit gleichermaßen unbeliebte Themen scheinen die zu sein, die immer wiederkehren. So etwa wie die anfangs bundes- und inzwischen EU-weite kontrovers geführte Diskussion um die Etablierung einer Zensurpolitik auf der Argumentationsgrundlage, man wolle die Opfer von Kindesmissbrauch schützen und die Verbreitung von entsprechendem Videomaterial stoppen.

Das Rezept ist dabei aus der Sicht der Kritiker relativ einfach: Man drücke ordentlich auf die Mitleidstube, treibe es mit den Peitschenhieben der Repräsentativen Demokratie vor sich her und fertig ist die neue Gesetzesvorlage. Fakt ist: Anstatt das Problem bei der Wurzel zu packen und eine entsprechende Präventionspolitik über vermehrtes soziales Engagement auf den Weg zu bringen, verlagert man die Problematik lediglich. Vom finanziellen Aspekt einmal abgesehen, zeigte sich in mehreren Testszenarios, dass innerhalb weniger Stunden entsprechende Inhalt von den Servern seitens der Hoster gelöscht wurden. Ebenso bleibt bei der Argumentationsstrategie die logische Konsequenz gänzlich unbeachtet, dass die Verbreitung etwaigen Materiales nun endgültig abseits des öffentlichen Raumes erfolgen würde und damit nicht mal mehr im Ansatz durch die öffentliche Hand kontrolliert werden könnte. Außerdem: Die Sperrung via DNS-System lässt sich innerhalb weniger Sekunden bis Minuten mittels Mausklick ganz einfach umgehen.

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Führt man diesen Gedanken weiter fort, ergeben sich aber noch ganz andere, teilweise alarmierende, Tatsachenbestande. Über die Einrichtung einer temporären DNS-Sperre wäre es möglich, auch andere Webseiten, deren Inhalt nicht im Zusammenhang mit entsprechenden Perversionen steht, zu blocken beziehungsweise den Zugriff auf diese komplett zu unterbinden. Anlass für diese Vermutung gab seinerzeit die ehemalige Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen, die die Debatte in der Bundesrepublik entscheiden prägte. Konkret äußerte sie sich im Interview mit dem Hamburger Abendblatt wie folgt: „Doch wir werden weiter Diskussionen führen, wie wir Meinungsfreiheit, Demokratie und Menschenwürde im Internet im richtigen Maß erhalten. Sonst droht das großartige Internet ein rechtsfreier Chaosraum zu werden, in dem man hemmungslos mobben, beleidigen und betrügen kann.“

Eine Aussage, die, vollkommen zu Recht, einen faden Beigeschmack hinterlässt. Eine solche Vorgehensweise, wie sie hier angedacht wurde, befindet sich quasi im Konsens mit der Freiheit des Einzelnen, „seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten (…) Eine Zensur findet nicht statt.“ (Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland). Die Argumentation, dass diese Freiheit etwa bei Betrug oder Mobbing endet ist zwar im Kern korrekt, darf aber, und hier ist die Gesetzeslage eindeutig, eben nicht über eine Zensur bewerkstelligt werden. Im Klartext: Eine Zensurpolitik ist, so vornehm ihre Absichten auch sein mögen, gesetzeswidrig und die Diskussion über eine Sperre kinderpornografischer Inhalte im Internet erübrigt sich damit, zumindest in der Bundesrepublik, von selbst. Eben diesen Aspekt hielt die Schwarz-Gelbe Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag fest und setzt sich seitdem für das Prinzip „Löschen statt Sperren“ ein.

Dann war es stiller geworden in Deutschland, bis zu dem Tag, als die Diskussion nach einer EU-weiten Zensurpolitik aufkam. Wie wir bereits berichteten, einigte sich die EU-Justizministerkonferenz vergangenen Freitag auf einen entsprechenden Gesetzesentwurf. Da der EU-Reformvertrag von Lissabon hier eine Zensur eben nicht ausschließt beziehungsweise die Souveränität der Mitgliedsstaaten zu Gunsten einer einheitlicheren Regelung eben weiter herunterfährt, sieht es mit der bisherigen Argumentationsgrundlage in Deutschland, eine Zensur verstoße gegen das Grundgesetz, relativ schlecht aus. Um nicht gar zu sagen: Es sieht ganz schön düster aus.

Einer Zensurpolitik ist damit Tür und Tor geöffnet. Auch wenn sie sich zu Beginn nur auf kinderpornografische Inhalte bezieht, ist das Misstrauen nach wie vor hoch. Es entspräche daher nur der Natur der Sache, dass bald auch Torrentnetzwerke aufgrund des Generalverdachtes des illegalen Verteilens urheberrechtlich geschützten Materiales auf der Blacklist landen könnten. Eine Weiterführung des Gedanken: Was geschehe dann mit Wikileaks, die, aufgrund ihrer öffentlichen Publikationen, geradezu ins Fadenkreuz der politisch motivierten Kritik geraten sind. Der italienische Außenminister Franco Frattini bezeichnete beispielsweise die kürzlich publik gewordenen Informationen zur Einschätzung von US-Diplomaten über andere Staaten als den „11. September für die Weltdiplomatie“. In Washington geht man sogar noch einen Schritt weiter. Der Sprecher von US-Präsident Barack Obama, Robert Gibbs, lies verlauten, Obama sei „nicht glücklich“ über die Veröffentlichung und das sei noch eine „Untertreibung“. Im verlinkten Artikel heißt es sogar „Wikileaks bedroht (die) internationale Sicherheit“. Der Gründer von Wikileaks, Julian Assange, wurde derweilen öffentlich als „High-Tech- Terrorist“ des 21. Jahrhunderts betitelt und gestern in London wegen dem Vorwurf der Vergewaltigung an zwei Schwedinnen festgenommen.

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Ebenso kündigten Amazon als Webhoster, PayPal als Spendensystem und EveryDNS.net als DNS-Anbieter sämtliche Geschäftsbeziehungen, als Begründung berief man sich unter anderem auf angebliche Hacker-Angriffe. Doch viele tausend Mitbürger stellten sofort entsprechenden Speicherplatz auf ihren privaten Server zur Verfügung, um die Inhalte der Seite zu spiegeln und damit zu erhalten. Man muss sich also zu Recht fragen, wer hier unter Umständen vorschnell gehandelt und gegebenenfalls seine repräsentative Macht auf ein Level gehoben hat, dass sich jedweder objektiven Argumentationsstruktur auf Grundlage der Meinungsfreiheit entziehen würde. Interessant hierbei: US-Bürger im öffentlichen Dienst und Studenten wird ausdrücklich nahe gelegt, dass, wenn ihnen etwas an ihrer Karriere läge, sie sich nicht am Projekt Wikileaks beteiligen oder es unterstützen sollten.

Eine Demokratie besteht vor Allem in der Verantwortung, sich selbst immer wieder neu legitimieren zu müssen. Ob dies mit einer einseitig geprägten Argumentationsstruktur, die etwaige Verdachtsmomente erst schürt, und der Etablierung einer Zensurpolitik, die im Konsens zur freien Meinungsäußerung stehen könnte, möglich ist, bleibt abzuwarten.

Kommentar: Gerrit Mumme, Hardwareluxx

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