NEWS

Kommentar

Wenn Überwachung die Falschen trifft - die Bunderskanzlerin und ihr Handy

Portrait des Authors


Wenn Überwachung die Falschen trifft - die Bunderskanzlerin und ihr Handy
37

Werbung

Im Sommer beherrschte lange ein Thema die Medien - der durch Edward Snowden angestoßene NSA-Skandal. Plötzlich wurde öffentlich, was bisher nur manch kauziger Überwachungsskeptiker befürchtet hatte (und selbst der wohl meist in harmloseren Dimensionen): Westliche Geheimdienste kontrollieren einen Großteil der Post-, Telefon- und vor allem Internetkommunikation. Und zwar nicht die Kommunikation von irgendwelchen Terroristen, sondern flächendeckend die der Bevölkerung. Besonders der US-Geheimdienst NSA und das britische Pendant GCHQ spielen eine Vorreiterrolle beim Ausschnüffeln. Verdachtsunabhängig werden gigantische Datenmengen angezapft und durchforstet. Die mediale Reaktion war gerade in Deutschland heftig, die der Regierung scheinbar bemüht, aber irgendwie nicht so richtig engagiert. In Erinnerung blieb vor allem der Besuch von Innenminister Friedrich in den USA, der zwar groß angekündigt wurde, aber dann praktisch doch nur ein Austausch wohlfeiler Floskeln auf Kosten des Steuerzahlers blieb.

Dann kamen die Bundestagswahlen näher und ein unaufgearbeiteter Skandal schien gerade der CDU/CSU wenig hilfreich. So zeigte sich auch der Kanzleramtsminister Roland Pofalla überaus erleichtert, als er verkünden konnte: "Die NSA und der britische Nachrichtendienst haben erklärt, dass sie sich in Deutschland an deutsches Recht halten." Und natürlich wurde auch gleich mit dem Horrorzenario von Anschlägen gearbeitet, das dann doch geheimdienstliche Arbeit in gewissen Grenzen rechtfertigt.

Immerhin wurde noch ein 8-Punkte-Programm aufgelegt, das die ganze Angelegenheit richten und von der Tagesordnung verbannen sollte. Tatsächlich verschwand das Thema NSA-Affäre rechtzeitig vor den Bundestagswahlen weitgehend aus den Medien und - gerade mit Blick auf die Wahlergebnisse - scheinbar auch aus den Köpfen der Bevölkerung. Doch kaum laufen die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD, drängt sich der Skandal wieder mit Macht in den medialen Fokus. Diesmal geht es nicht um die Überwachung von Millionen unbescholtener Bürger, sondern ganz konkret um die Überwachung eines Individuums - der deutschen Bundeskanzlerin. Es liegen offenbar Hinweise vor, dass ihr Handy jahrelang von US-amerikanischen Geheimdiensten abgehört wurde. Und diese Hinweise sind so eindeutig, dass Frau Merkel gleich zum Telefonhörer griff und sich beim US-Präsidenten Obama mit deutlichen Worten beschwerte. Eine solche Überwachung würde sie "unmissverständlich missbilligen", sie sei "völlig inakzeptabel" und schließlich ein "gravierender Vertrauensbruch". Selbst die Diplomatensprache kann die Empörung nicht verschleiern, die die Bundeskanzlerin ergriffen hat. Auf Normaldeutsch ließe sich eine passende Übersetzung wohl kaum ohne überschlagende Stimme, wüsten Beschimpfungen und einem anschließenden Tränenausbruch vortragen: "Ich dachte, wir wären Freunde. Aber du hast mich nur benutzt und betrogen. Schluchz. ... "

Der Beobachter ist erstaunt. Ist das noch die gleiche Kanzlerin, die auf die millionenfache Bespitzelung ihrer Bevölkerung einfach mit einer netten USA-Reise ihres Innenministers und mit einem 8-Punkte-Programm antwortete, von dem man seit der vollmundigen Ankündigung nichts mehr gehört hat? Ein Zitat von George Orwell ploppt im Kopf auf. Nein, nicht aus 1984, sondern aus Farm der Tiere: „Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher.“ Aber vielleicht treibt der Furor, der die Bundeskanzlerin angesichts der Überwachung ihres Handys erfasste, nun doch dazu an, mit frischer Energie gegen die Überwachung ihrer Bürger anzukämpfen und Schaden von ihnen zu wenden.

Hinweis: Diese Kolumne repräsentiert ausschließlich die Meinung des Autors.

Quellen und weitere Links

Werbung

KOMMENTARE (37) VGWort