Als Gott die Welt erschaffen hatte, betrachtete Er sein Werk, und es war gut. Bis auf das Alpenvorland. Die saftigen Wiesen, die stillen Seen und die majestätischen Berge schienen ihm allzu makellos. Etwas, so beschloss Er, sollte die Vollkommenheit stören. Darum setzte Gott die Bayern in die Idylle.
Ein Zuageroasten-Witz. Erfunden von Einwanderern aus dem Norden, die zwischen Hass und Liebe schwanken und das Schimpfen nicht lassen können. Dass ausgerechnet die Bayern mit Oktoberfest und Lederhosen in der Welt das Bild vom Deutschen geprägt haben, macht die Sache nicht besser. Schon die deftige Speisekarte lässt Schlimmstes ahnen. Was soll man von einem Volk halten, das Lüngerl- und Hirnsuppe, gebackene Kuheuter, gebratenen Spanferkelkopf und Milzund Weißwurst zu Schmankerin, also Delikatessen, erklärt? Jeden empfindsamen Westeuropäer - außer den Franzosen graust es davor. Zudem ist in einer original bayerischen Gastwirtschaft garantiert alles fett, was glänzt.
Die Alpenrepublik mit ihren seltsamen Sitten und Bräuchen ist Sehnsucht und Alptraum für die meisten Nordlichter: Bäuerliches Selbstbewusstsein paart sich mit weißblauem Untertanengeist. Barocke Pracht neben volkstümelndem Kitsch, unverstellte Herzlichkeit schlägt unversehens um in krachlederne Rauflust. Die Natur bietet Alpenglühen, die Bewohner als folkloristisches Inventar liefern Schuhplatteln, Jodeln und Fingerhakeln dazu. Sie sind provinziell und bäuerlich, sie pöbeln grantig, grob und derbe, und sie lieben alles, was rund ist. Rund sind in Bayern die Brüste der Frauen, die Bäuche der Männer, die Knödel, die weißgelben Zwiebeltürme der Dorfkirchen und die Hügel der Voralpen.
Askese ist hier ein Fremdwort. Wenn etwa am Aschermittwoch das bunte Treiben des Faschings vorbei ist, treffen sich die Bajuwaren zum Fischessen in der Gastwirtschaft. Da feiern sie, dass das anstrengende Feiern endlich "a Rua" hat. Dazu wird Starkbier getrunken. Damit das Fasten nicht gar so schwer fällt. Die Bayern genießen das Leben, Drum sind - das wird oft übersehen München und das Umland kein Gegensatz, die exzessive Genusssucht der Bussibussi-Gesellschaft ist einfach nur eine städtische Version bayerisch-ländlicher Gemütlichkeitskultur. Wer einmal vergeblich versucht hat, in München freitags nach 14 Uhr ein paar Telefonate zu erledigen, begreift, dass Wochenend-Vergnügen in der Isarmetropole Pflicht, und die Freizeit eine rechte Plackerei ist. Schließlich sind in Bayern die Wolken weißer und der Himmel ist blauer als sonst wo. Überhaupt schein * t die Sonne anders. Vor allem scheint sie immer. Außer wenn's regnet. "Es waar a Schand", nicht rauszufahren. Man trifft sich auf der Straße. Im Stau Richtung Süden. Zum Geheimtipp Osterseen zum Beispiel. Ein Bilderbuchbayern mit üppigen Weiden, matschigen Kuhfladen, stillen Moorseen und der Silhouette des Alpenmassivs im Hintergrund. Die stämmige Bäuerin, mit vom Teigwalken so kräftigen Armen wie ein gestandenes Mannsbild, kassiert zwei Mark fünfzig fürs Parken auf der Weide. Da tummelt sich - die Szenerie könnte bizarrer nicht sein - die Münchner Schickeria, natürlich nackt, einträchtig neben glücklichen Kühen und biederen Familien mit Klappstühlen und zünftiger Brotzeit. Die Brotzeit ist sowieso das Wichtigste an der bajuwarischen Freizeit. Ein Wanderweg ohne Wirtshaus ist wie eine Weißwurst ohne Weizenbier. Sie gehört zur Lebensqualität wie die Langlaufloipe zum Starnberger See, die Autobahn nach Südtirol und der Föhn als Entschuldigung für alle Widrigkeiten.
Doch auch ohne Föhn ist jeder Bayer ein lokalpatriotisches Schandmaul. Am liebsten flucht und belfert er. Wer einmal auf einem bayerischen Amt ein Formular abholen wollte, beim Bäcker Brötchen statt Semmeln bestellt hat oder beim Pförtner eines Betriebes. nach Dienstschluss um Einlass gebeten hat, weiß, was ein bayerischer Grantler ist. Eigentlich eine Seele von Mensch, lehrt er jeden das Fürchten.
Natürlich im Dialekt. Ob ihn die Zuageroasten verstehen, ist deren Sache. Aber selbst wer schon lange im bayerischen Exil lebt und ohne Stolpern Zungenbrecher wie "Oachkatzischwoaf" über die Lippen bringt, gehört noch längst nicht dazu. Das dauert mehrere Generationen. Oder noch länger. Der Münchner Autor Herbert Rosendorfer hat es auf den Punkt gebracht: "Ein Neger kann ein Bayer werden. Ein Preuße nie." Da sei der liebe Gott vor.
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Die Autorin (Name mir leider im Moment entfallen), Jahrgang 1958, lebt als freie Journalistin in München.