TEST

Samsung Gear S2 und Gear S2 classic im Test - Bedienung, Software, Alltag, Fazit

Portrait des Authors


Sehr gute, aber nicht perfekte Philosophie

Werbung

Das wahre Highlight der Gear S2 sind aber weder das runde Display noch das Gehäuse. Stattdessen stelle Samsung von Anfang an die Lünette in den Vordergrund, schon auf der IFA im September konnten wir uns von deren Qualitäten überzeugen. Schon in Berlin stand dabei schnell fest, dass das Konzept gewöhnungsbedürftig, aber durchaus überzeugend ist. Daran hat sich im Laufe des Tests nichts geändert. Allerdings entpuppte sich der drehbare Kreis nach einigen Tagen auch als eine Art Spielerei. Deutlich wird dies, wenn man sich die gesamte Bedienphilosophie und die Konkurrenz anschaut.

Die drehbare Lünette ist fester Bestandteil der Bedienphilosophie - aber dennoch verzichtbar

Die drehbare Lünette ist fester Bestandteil der Bedienphilosophie - aber dennoch verzichtbar.

Android Wear sieht die Steuerung einzig und allein per Touchscreen vor. Dies hat den Vorteil, dass der Umgang mit allen Geräten der Plattform weitestgehend identisch ausfällt und sich die Hersteller keine großen Gedanken bezüglich der Handhabung machen müssen. Allerdings wird der Aufwand umso größer, wenn diese doch Hand anlegen wollen – wie beispielsweise im Fall der Watch Urbane 2nd Edition. In watchOS will Apple das ständige Verdecken des Displays beim Bedienen mit seiner „digitalen Krone“ vermeiden. Der Dreh-Drück-Schalter kann nicht nur zum Scrollen, sondern auch zum Bestätigen eingesetzt werden. Bis man dies verinnerlicht hat, vergehen einige Tage, der Komfortgewinn gegenüber Android Wear ist aber deutlich. Auch weil man das Konzept konsequent umgesetzt hat: Bestimmte Aktionen können nur mit der Krone ausgelöst werden, andere hingegen nur über den Touchscreen.

Ähnlich wirkt es zunächst bei der Gear S2 – auch weil die kurze Einführung dies suggeriert. Tatsächlich aber merkt man nach ein, zwei Tagen, dass die Lünette lediglich eine Alternative zum Touchscreen ist. Was über den drehbaren Ring steuerbar ist, kann ebenso über das Display erledigt werden. Anders sieht es hingegen mit den beiden seitlichen Tasten aus. Über die obere kann immer ein Schritt zurückgegangen werden, über die untere gelangt man zurück zum Zifferblatt, respektive wechselt zwischen diesem und der App-Übersicht. Warum man sich nicht in allen Punkten so klar festgelegt hat, bleibt unklar.

Ähnlich bei Android Wear lassen sich mit einem Wisch die wichtigsten Informationen einblenden

Ähnlich bei Android Wear lassen sich mit einem Wisch die wichtigsten Informationen einblenden

Dennoch ist der Umgang mit der Gear S2 deutlich intuitiver als mit Android-Wear-Modellen. Auch weil das haptische Feedback der Tasten und der Lünette deutlich und qualitativ hochwertig ausfällt. Vor allem der sich dezent beim Erreichen des äußerst linken oder rechten Bildschirms meldende Vibrationsmotor gefällt und rundet den insgesamt sehr guten Eindruck ab.

Durchwachsene Software

Leider kann Samsung dies hinsichtlich der Plattform nicht wiederholen. Wie auch schon bei den letzten Gear-Modellen setzt man auf Tizen, das im Vergleich zu Android Wear schlanker und weniger ressourcenfressend ausfällt. Die Benutzeroberfläche fällt weitestgehend übersichtlich aus, einzige die Anzeige der installierten Applikationen entpuppt sich als Schwachpunkt. So lange nur neun oder weniger Programme installiert sind, kommt das System mit einem Bildschirm aus. Liegt die Anzahl der Anwendungen jedoch darüber, was bereits nach der Erstinbetriebnahme der Fall ist, werden der Übersicht weitere Bildschirme hinzugefügt; nach dem Start sind es bereits drei. Da die dazugehörigen runden Piktogramme nur am Rand des Displays platziert werden, bleiben weite Teile der Anzeige ungenutzt. Hier hätte Samsung sich für einen anderen Weg entscheiden sollen, wollte vermutlich aber nicht Apples App-Anzeige kopieren.

Die Benutzeroberfläche ist nicht vollständig an das runde Display angepasst

Die Benutzeroberfläche ist nicht vollständig an das runde Display angepasst.

Fester Bestandteil der Plattform sind diverse Zifferblätter, deren Design von klassisch über schlicht bis hin zu futuristisch reicht. In den meisten Fällen kann der Nutzer das Erscheinungsbild teilweise anpassen, meist lassen sich die Farben oder die eingeblendeten Zusatzinformationen wie Akkustand, Datum oder Anzahl der zurückgelegten Schritte verändern.

Gut gelöst hat man den Zugriff auf die wichtigsten Optionen. Ein leichter Wisch auf dem Zifferblatt nach unten ruft ein Menü auf, in dem die Helligkeit angepasst, die Musikwiedergabe gesteuert und der „Nicht stören“-Modus aktiviert werden kann. Zudem wird hier über den Verbindungsstatus und den Füllstand des Akkus informiert.

Zwei weitere Schwachpunkte: Der App-Drawer wird schenll unübersichtlich, die Zahl der Programme ist noch immer gering

Zwei weitere Schwachpunkte: Der App-Drawer wird schnell unübersichtlich, die Anzahl der Programme ist noch immer gering.

Was der Gear S2 hingegen klar fehlt, sind in hiesigen Breiten populäre Applikationen. Zwar werden schon jetzt alle Bereich von Nachrichten über Wetter bis hin zu Fitness-Programmen abgedeckt, in der Regel richtet man sich mit der Auswahl der einzelnen Titel eher an Nutzer in den USA. So sind weder Ableger deutscher oder europäischer Nachrichtenportale, noch beliebte Anwendungen wie der DB Navigator oder Runtastic verfügbar. Zwar stehen im Gear-App-Store verschiedene Alternativen bereit, diese bieten aber nur selten den gewohnten Umfang und Komfort.

Immerhin werden alle rudimentären Bereiche gut abgedeckt, mit dabei sind unter anderem Kalender, Stoppuhr, eine Suchfunktion für das Smartphone, der Sprachassistent S Voice und diverse andere kleine Tools. Allerdings schwankt die Qualität aus verschiedenen Gründen stark. Beispiele: Die auf Bing Maps basierende Karten-Lösung reagiert nur sehr träge, Sprachmemos können nur bei bestehender Verbindung zum Smartphone aufgezeichnet werden, die Gestaltung des Kalenders ist wenig nutzerfreundlich.

In der Companion-App lassen sich die wichtigsten Einstellungen vornehmen, nicht alles ist jedoch leicht auffindbar

In der Companion-App lassen sich die wichtigsten Einstellungen vornehmen, nicht alles ist jedoch leicht auffindbar.

Ein Thema für sich ist aber auch die Verbindung zwischen Smartwach und Smartphone. Hier ist es zunächst löblich, dass Samsung die Beschränkung auf die eigenen Modelle aufgegeben hat – die Gear S2 kann mit allen Android-Geräten genutzt werden, auf denen mindestens Android 4.4 zum Einsatz kommt. Für die Einrichtung und den Betrieb ist die Gear App notwendig, die nach der Installation zwei weitere Programme herunterlädt. Die dann folgenden Schritte gleichen dem, was man von Android Wear kennt: Die Bestätigung der Bluetooth-Koppelung, das Aktivieren der Benachrichtigungsfunktion und ähnliches.

Etwas in den Tiefen der Applikation versteckt ist die WLAN-Funktion. Diese soll sicherstellen, dass die Uhr auch ohne Bluetooth-Verbindung zum Companion genutzt werden kann. Zumindest wird dieser Anschein erweckt. In der Praxis wird man jedoch enttäuscht. Denn Gear S2 und Smartphone müssen sich im selben WLAN befinden. Der Grund hierfür: Die Smartwatch baut per WLAN keine eigenständige Verbindung zum Internet auf, sondern versucht über das drahtlose Netzwerk lediglich eine Verbindung zum Handy aufzubauen. In diesem Punkt liegt Android Wear deutlich vorne.

Auffällig im Alltag

Im Alltag gibt es aber noch ganz andere Auffälligkeiten – positiver wie negativer Natur. Zur ersteren Kategorie zählt die zuverlässige Zustellung von Benachrichtigungen. Ob Mitteilungen über Facebook oder WhatsApp, die wichtigsten Dienste können entsprechende Hinweise an die Gear S2 weiterleiten. Vorausgesetzt, man hat diese dafür in der Gear App freigeschaltet. Doch die Uhr kann mehr, auch das Beantworten ist problemlos möglich, wenn die Finger klein genug sind. Denn die Tasten der T9-Tastatur sind für den durchschnittlichen Erwachsenen zu klein geraten, was in häufigen Fehleingaben resultiert.

Alle wichtigen Programme sind ab Werk dabei, so manche Lösung überzeugt aber nicht

Alle wichtigen Programme sind ab Werk dabei, so manche Lösung überzeugt aber nicht.

Samsung beweist an anderer Stelle hingegen mehr Hang zum Detail. Denn die eingegangenen Benachrichtigungen werden nicht auf einem Bildschirm zusammengefasst, sondern hintereinander entgegen dem Uhrzeigersinn aufgereiht. Somit lässt sich per Lünette zwischen allen wechseln, was die Übersichtlichkeit fördert. Dreht man hingegen im Uhrzeigersinn, lassen sich favorisierte Informationen aufrufen. Dazu gehören unter anderem der Kalender, das Wetter, bevorstehende Termine und der Puls.

Löblich ist aber auch die Integration der Fitness- und Gesundheitsüberwachung. Hierzu greift die Smartwatch nicht nur auf die verbauten Sensoren zurück, sondern ermöglicht dem Nutzer auch die schnelle Eingabe der zu sich genommenen Flüssigkeit. Zwar lassen sich damit keine detaillierten Analysen erstellen, der Nutzer erhält jedoch einen groben Überblick. Ebenso gefällt die Darstellung der Daten, auf Wunsch wird beispielsweise angezeigt, wie aktiv man wann am Tag war. Allerdings offenbart sich hier auch eine kleinere Schwäche. An gleich mehreren Stellen reicht das Display nicht für den gesamten Text aus. Im besten Fall führt dies zu merkwürdigen Abkürzungen, im schlimmsten Fall werden Wortanfänge oder –enden „verschluckt“. Besonders ärgerlich ist dies an den Stellen, an denen die Rundung des Displays der Grund ist.

Im Alltag sind Laufzeiten von knapp drei Tagen möglich

Im Alltag sind Laufzeiten von knapp drei Tagen möglich

Wer sich intensiver mit den Fitnessfunktionen auseinandersetzt, wird binnen kürzester Zeit auf zwei andere Schwachpunkte stoßen. Denn wer sich auf das vorinstallierte S Health verlässt, muss mit beschränkten Export-Möglichkeiten der Daten leben – unter anderem ist das Weiterreichen an Google Fit nicht möglich. Wichtiger jedoch: Die Zählung der Schritte ist überraschend ungenau. Im Test lag die Abweichung bei bis zu rund 50 %. Besser sieht das Ergebnis aus, wenn beim Laufen eine Verbindung zum Smartphone besteht. Auch deshalb ist der Verzicht auf einen eigenen dedizierten GPS-Empfänger beim Standardmodell der Gear S2 ärgerlich.

Dass die Sensoren aber auch anders können, zeigt sich beim Einschalten des Displays. Denn das unbeabsichtigte Aktivieren ist eine seltene Ausnahme. Zusätzlich wird die Anzeige schnell und zuverlässig wieder deaktiviert, wenn eine für das Ablesen untypische Position erreicht wird.

Fazit

Bislang blieb Smartwatches der große Erfolg verwehrt. Die Gründe dafür sind vielfältig, eines gemeinsam haben aber alle bisher vorgestellten Modelle: Die Mischung stimmt einfach nicht. Uhren auf Basis von Android Wear leiden unter der Software, die noch immer nicht vollständig an runde Displays angepasst ist und die Bedienung mehr erschwert denn erleichtert. Das System Apple Watch krankt hingegen am hohen Preis, dem nicht jedermann gefallenden Design sowie dem exklusiven Zusammenspiel mit dem iPhone. Für Samsung hätte beides eine Steilvorlage sein können. Und auf den ersten Metern respektive in den ersten Stunden und Tagen wirkt es auch fast so, als ob man die große Chance genutzt hätte.

Es werden mehr als nur Galaxy-Smartphones unterstützt, angeblich denkt man sogar über die Unterstützung von iOS nach, das Design ist gefällig, die Software schlank und man hat die Kontrolle über die Bedienung. Doch im Laufe der Zeit entdeckt man mehr und mehr Macken, die die Lust am Einsatz trüben. Hier und da ist die Oberfläche nicht richtig angepasst, für bevorzugte Applikationen steht kein Tizen-Ableger bereit und ohne ständige Verbindung zum Smartphone verkommt die Gear S2 zur Armbanduhr mit kaum vorhandenem Mehrwert.

Die Frage Apple Watch oder Gear S2 stellt sich nicht - nicht nur aufgrund der unterschiedlichen Design-Ansätze

Die Frage Apple Watch oder Gear S2 stellt sich nicht - nicht nur aufgrund der unterschiedlichen Kompatibilitäten.

Enttäuschender ist am Ende aber, dass ausgerechnet die von Samsung in den Vordergrund gestellte Lünette als Teil des Bedienkonzeptes nicht viel mehr als ein Gimmick ist. Sie ist zwar vollständig in das System integriert, in fast allen Fällen kommt man aber auch ohne sie zurecht.

Was ein Stück weit aber auch für die grundsätzlich gut gelungene Navigation innerhalb des Systems spricht. Alle wichtigen Funktionen sind schnell und ohne große Umwege erreichbar, nur bei vielen installierten Apps geht die Übersichtlichkeit verloren. Nichts, was mit einem späteren Software-Update nicht verändert werden könnte. Ob dies auch dem ungenauen Schrittzähler hilft, bleibt abzuwarten. Mit der Entscheidung, die sportlichere Version der Gear S2 nicht der wahrscheinlichen Zielgruppe anzupassen, hat Samsung einen klaren Fehler gemacht. Motorola, aber auch Sony machen es an dieser Stelle besser.

Angesichts der Liste der negativen Punkte ist es deshalb naheliegend, dass die Gear S2 nicht uneingeschränkt empfohlen werden kann.

Was an den Qualitäten der beiden Modelle aber nichts ändert. Die Gear S2 und der classic-Ableger sind hochwertig gestaltet und verarbeitet, die Akkulaufzeit von bis zu knapp drei Tagen liegt über dem Durchschnitt. Wer ein Android-Smartphone nutzt und mit einer Smartwatch liebäugelt, sollte – sofern die Optik gefällt, die Samsung-Uhr in den engeren Kreis der Kandidaten aufnehmen.

Mit der Android-Wear-Konkurrenz kann die Gear S2 problemlos mithalten, überzeugend sind beide Versionen jedoch nicht

Mit der Android-Wear-Konkurrenz kann die Gear S2 problemlos mithalten, überzeugend sind beide Versionen jedoch nicht.

Dabei muss man sich jedoch im Klaren darüber sein, dass beide Versionen der Smartwatch zu den teuersten, mit Android kompatiblen Vertretern gehören. Für die Gear S2 ruft Samsung unverbindliche 349 Euro auf, für die Gear S2 classic 379 Euro – im Handel sind die Preise noch nicht gesunken. Noch mehr ausgeben werden muss lediglich für die Huawei Watch, die derzeit bei 399 Euro startet. Die Motorola Moto 360 2nd Gen. muss mit 349 Euro bezahlt werden, für die LG Watch Urbane werden hingegen nur noch knapp 230 Euro verlangt.

Die Gear S2 ist am Ende Samsungs bislang beste Smartwatch und bewegt sich auf Augenhöhe mit den aktuellen Android-Wear-Vertretern. Wie diese liefern aber auch die beiden Tizen-Modelle kein Argument, das für einen baldigen Durchbruch spricht.

Positive Aspekte der Samsung Gear S2 (classic):

  • handelsübliche Armbänder können genutzt werden (Gear S2 classic)
  • leicht überdurchschnittliche Akkulaufzeit
  • hochwertige Verarbeitung
  • benutzerfreundliche Oberfläche
  • alle wichtigen Messenger werden unterstützt

Negative Aspekte der Samsung Gear S2 (classic):

  • nur proprietäre Armbänder können genutzt werden (Gear S2)
  • undurchdachte WLAN-Funktionalität
  • weiterhin nur wenige Applikationen für Tizen
  • unpräzise Schritterkennung
  • zu dunkles Display
  • eingeschränkter Export von Fitness-Daten

Preise und Verfügbarkeit
Nicht verfügbar Nicht verfügbar Nicht verfügbar

Quellen und weitere Links KOMMENTARE (1) VGWort