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Fragt man die Deutschen danach, was sie derzeit am meisten ärgert, dürfte die Mehrheit sicherlich die Streiks bei der Deutschen Bahn und in Kindergärten nennen. Letztere bringt die Menschen sogar soweit auf die Palme, dass das Mainzer Rathaus von erzürnten Eltern gestürmt wird. Doch fragt man anschließend nach einer Meinung zur geplanten neuen Vorratsdatenspeicherung, dürfte man in vielen Fällen lediglich ein Schulterzucken als Antwort erhalten. Dabei ist das geplante Gesetz derart offensichtlich verfassungswidrig, dass die Menschen zu zehntausenden dagegen protestieren müssten. Vor allem, da die Bundesregierung in dieser Angelegenheit ein gewaltiges Maß an Glaubwürdigkeit verloren hat.
Nachdem der Europäische Gerichtshof im Aprile 2014 die EU-Grundlage und damit auch die jeweiligen nationalen Regelungen für ungültig erklärte, drehte sich die Meinung in Berlin wie ein Fähnchen im Wind. Direkt nach dem Urteil erklärte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), dass man zunächst auf eine Vorratsdatenspeicherung verzichten werde, wenige Wochen später hieß es zusätzlich, dass man auf einen Alleingang verzichte. Entsprechend atmeten Datenschützer auf, als die EU im Januar erklärte, dass man bis auf weiteres keine neue Richtlinie erarbeiten werde.
Doch von all dem will die Bundesregierung nun nichts mehr wissen. Denn noch vor der Sommerpause soll der Bundestag den aktuellen Gesetzesentwurf beschließen, das Inkrafttreten wäre dann nicht mehr weit entfernt. Dabei warnen Experten vor massiven Lücken, die deren Meinung zufolge nicht mit de Verfassung in Einklang stehen.
Urteil der Europäischen Gerichtshofs und die Verfassung spielen keine Rolle
So sind die Hürden vor einer Nutzung der gespeicherten Daten durch Polizei und andere Ermittlungsbehörden ihrer Meinung nach viel zu gering, teilweise sind sie auch gar nicht vorhanden. Selbst bei geringfügigen Tatvorwürfen könne die Polizei beispielsweise Verbindungsdaten anfordern, ein Richtervorbehalt ist nicht vorgesehen. Deshalb warnen auch diverse Verbände vor möglichen Folgen für ganze Berufsgruppen. Denn das geplante Gesetz stelle nicht sicher, das zur Verschwiegenheit verpflichtete Personen von der Datenspeicherung ausgenommen sind. Dies betrifft nicht nur Anwälte und Ärzte, auch für die gerne als vierte Macht bezeichnete Presse könnte dies folgen haben. „Zwar wird nach dem Entwurf ein Schutz von Berufsgeheimnissen vorgesehen, die Regelungen dazu sind jedoch nicht geeignet, den Informantenschutz und das Redaktionsgeheimnis zu sichern“, heißt es dazu beispielsweise vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV).
Damit würde man aber nicht nur vermutlich gegen die Verfassung verstoßen, sondern auch konkret das Urteil des Europäischen Gerichtshofs verletzen. Denn dieser hatte im April 2014 auch wegen des fehlenden wirksamen Schutzes der Berufsgeheimnisträger die EU-Richtlinie für ungültig erklärt.
Die totale Überwachung wäre denkbar
Es gibt auch zahlreiche weitere Kritikpunkte. So wird unter anderem befürchtet, dass die Datenschutzmaßnahmen auf Seiten der Provider zahlreiche Anbieter vor finanzielle Probleme stellen wird und das die ursprünglich für die Terrorbekämpfung vorgesehene Vorratsdatenspeicherung auch für ganz andere Vergehen genutzt werden soll. Die Rede ist dabei unter anderem von Urheberrechtsverletzungen im Internet. Viel Angriffsfläche bieten aber auch die Aspekte Verhältnismäßigkeit und Umfang. Denn bislang konnte von keiner Seite nachgewiesen werden, dass die Vorratsdatenspeicherung einen positiven Nutzen bei der Vereitelung oder Aufklärung gehabt habe - im Gegenteil: Selbst die EU-Kommission musste einräumen, dass der Erfolg gleich Null sei.
Zudem sei zu befürchten, dass mit dem neuen Gesetz die Verhältnisse nicht beachtet würden. So könnte es möglich sein, dass eine Totalüberwachung eintritt. Denn auch abseits der geplanten Datensammelei könnten Ermittlungsbehörden schon heute auf zahlreiche Informationen zugreifen. Laut Bundesverfassungsgericht müsse der Gesetzgeber genau dies aber beachten. Für die Praxis bedeutet dies, dass die Speicherung einzelner Daten durchaus legitim sein kann, eine umfassende Überwachung aber nicht verfassungskonform sei.
Doch in Berlin zeigt man sich von all dem unbeeindruckt. Selbst innerhalb der SPD sollen Mitglieder ihre Meinung nicht äußern können, das Bundesjustizministerium verzichtet darüber hinaus auf den sonst üblichen Rat externer Berater. Warum die Bundesregierung auf ein derart hohes Tempo setzt und die offensichtlichen Lücken in Kauf nimmt, ist völlig unklar. Die Möglichkeit, das Vorhaben zu stoppen, hätten beim aktuellen Zeitplan nur noch die Abgeordneten des Bundestags oder der Bundespräsident. Machen beide Institutionen von diesem Mittel keinen gebrauch, dürfte ein Gang vor das Bundesverfassungsgericht nicht ausbleiben. Aus Kreisen der Opposition wurde ein solcher Schritt bereits angekündigt.