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Systematische Ausbeutung bei Amazon

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Systematische Ausbeutung bei Amazon
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Eine im vergangenen Februar ausgestrahlte Dokumentation der ARD zum Thema Leiharbeit bei Amazon sorgte für viel Kritik. Nicht nur am Verhalten des Online-Händlers, sondern auch am Sender, der stellenweise auf eine dramatische und wohl auch mitunter überzogene Darstellung setzte. Doch im Kern hatte die Journalisten Recht, ein arbeitnehmerfreundliches Umfeld bietet der US-Konzern nicht.

Bestätigt wird dies nun von zwei unabhängigen Berichten zweier weiterer Journalistinnen, die für das österreichische Magazin News und den britischen Guardian schreiben, die anonym in Amazon-Versandlagern in Wales und Leipzig zwei Wochen lang gearbeitet und Erfahrung gesammelt haben. Das erschreckende Fazit: Die Aussagen beider gleichen sich und decken sich größtenteils mit dem, was die ARD berichtet hat.

Positives zählt nicht

So werden Mitarbeiter permanent überwacht, aber nicht nur, um Fehler zu erkennen, sondern auch um Kontakte innerhalb der Belegschaft zu minimieren. Geschildert wird beispielsweise, dass Gespräche mit Kollegen unterbunden wurden, obwohl in dieser Zeit weitergearbeitet wurde. Gleichzeitig soll aber auch Druck auf jeden einzelnen durch ein Prämiensystem ausgeübt werden: Begeht ein Kollege einen Fehler oder erleidet er einen Arbeitsunfall, fällt die Sonderzahlung geringer aus - die persönliche Leistung reicht nicht aus, obwohl es so gut wie keine Team-Arbeit gibt. Aber auch das offene Aufrufen seitens des Unternehmens zu Anschwärzungen per „Ethics-Hotline“ dürfte seinen Teil zum Gesamtbild beitragen.

Einen Hehl daraus macht Amazon den Schilderungen beider Journalistinnen zufolge nicht. Immer wieder würde man über die eigene Leistung informiert, allerdings gehe es dabei lediglich um Fehler, nicht aber um gute Leistungen. Diese, so die Vermutung der österreichischen Kollegin, würden gar nicht erfasst, „Es gibt keine Pluspunkte beim Finden von Fehlern - etwa wenn ein falscher Strichcode das Harry Potter Buch als Rammstein-CD ausweist, es gibt keine Pluspunkte, wenn ich ein Fach aufräume, das ein Vorgänger im Chaos hinterlassen hat“.

Wirtschaftliche Not wird ausgenutzt

Während sich vieles mit den Berichten rund um das Versandlager Bad Hersfeld deckt, gibt es zwischen den deutschen Standorten und dem im walisischen Swansea aber mindestens einen gravierenden Unterschied. Denn dort gibt es keine Gewerkschaft, die für die Rechte der Arbeitnehmer eintritt. „Das ist gerade für den südlichen Teil von Wales sehr ungewöhnlich, denn eigentlich haben wir hier sehr starke Gewerkschaftsbildungen, die Rechte von Arbeitern werden sehr ernst genommen – nur bei Amazon ist da nichts geschehen“, so die Guardian-Reporterin. Den Grund dafür kannte sie nach ihren Tagen als Mitarbeiterin: „Ich denke, dass liegt daran, dass die Arbeiter dort große Angst haben, weil es sehr strenge Regeln gibt und man schnell gefeuert wird. Den Leuten werden keine Festanstellungen angeboten, sodass sie sich ihres Jobs nie sicher sein können. Das ist eine Aushöhlung von Arbeitnehmerrechten!“.

Dass es diesen Unterschied zwischen Deutschland und Wales gibt, liegt vor allem an der Strukturschwäche im Westen des Vereinigten Königreichs. Historisch betrachtet gab es immer wieder wirtschaftliche Rückschläge, zuletzt soll die Finanzkrise wieder für steigende Arbeitslosenzahlen gesorgt haben. Allein deshalb könne Amazon nach eigenem Ermessen schalten und walten. Ein Stück weit gelingt dies dem Konzern aber auch in Deutschland. Denn Deckungsgleich fallen dann wieder die Schilderungen der Pausen aus. Denn vor den Erhohlungsphasen stehen mitunter minutenlange Wege an, die die News-Reporterin als „Gewaltmarsch“ bezeichnet. Von 20 Minuten Frühstückspause blieben so 6 Minuten übrig, Essen auf dem Rückweg zum Arbeitsplatz sei deshalb keine Seltenheit. In Swansea, so der Bericht, habe man mitunter nur 1 Minute echte Pausenzeit.

Für oder gegen Amazon

Befürworter des Systems Amazon halten all diese Kritik häufig die angeblich guten Bezahlungen sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen entgegen. Tatsächlich aber würde letzteres gar nicht geschehen, so die britische Gewerkschaft GMB: „Sie nehmen die massiven stattlichen Subventionen an und sie zahlen sie nicht zurück. Sie argumentieren damit, dass die Jobs schaffen doch tatsächlich verdrängen und ersetzen sie andere Arbeitsplätze.“. Ähnlich klingt der Tenor in Deutschland, vor allem der traditionelle Einzelhandel - allen voran der Buchhandel - beklagt das staatlich geförderte Geschäftsmodell des Einzelhändlers, der unter anderem auch vor Einschüchterungen von Lieferanten nicht zurückschreckt. Aber auch wer Amazon ablehnt, ist nicht sicher davor. Dies musste der Kosmetikhersteller Lush feststellen. Denn das Unternehmen will aus moralischen Gründen nicht über den Online-Händler verkaufen, letzteren interessiert dies aber nur am Rande. Denn den geschützten Markennamen nutzt man, um im Online-Shop andere Kosmetika anzubieten; wer nach Lush sucht, erhält Produkte anderer Hersteller als Treffer. Dagegen geht Lush nun vor dem Londoner High Court vor, vor allem um den eigenen Guten Ruf zu schützen.

Aus Sicht der GMB gibt es zwischen Amazon und dem Einzelhandel zusätzlich noch einen weiteren gewaltigen Unterschied, den die Befürworter gerne ausblenden: Die Steuerzahlungen. Denn Amazon schafft es dank teils widersprüchlicher Gesetzgebungen, die Steuerlast auf ein absolutes Minimum herunterzurechnen. Umso schlimmer ist es, dass das Unternehmen hierzulande in Bezug auf die Bezahlung von Mitarbeitern auf vollen Konfrontationskurs mit den Gewerkschaften geht. Zwar zahlt Amazon in Deutschland nach Tarifvertrag, allerdings beruft man sich auf die Regelungen der Logistikbranche. Die Gewerkschaft Verdi hingegen fordert eine Entlohnung, die dem Versandhandel entspricht. Gegenüber der Frankfurter Rundschau erklärte Sprecher Heiner Reimann, dass es hinsichtlich der Einstufung des Konzern keine Frage gebe. Kein Versandhändler würde ohne logistische Tätigkeiten auskommen, zudem würde Amazon den tatsächlichen Versand nicht selbst vornehmen, sondern auf Partner wie DHL übertragen. Die Unterschiede zwischen den Tarifen wären deutlich, so der Gewerkschafter. In Hessen würden ungelernte Mitarbeiter im Versandhandel 10 Prozent mehr verdienen als Amazon als Normallohn auszahlt. Zudem falle das Weihnachtsgeld dreimal so hoch aus.

Ob die erneute Kritik an Amazon dieses Mal zum Umdenken führt, darf bezweifelt werden. Oftmals siegt beim Kunden die Bequemlichkeit, zudem legen viele Verbraucher immer noch eine „Geiz ist geil“-Mentalität an den Tag, ohne die Konsequenzen zu begreifen. Die Guardian-Reporterin beschreibt es so: „Unsere Lust auf billige, heruntergesetzte Waren, die prompt und effizient bis vor unsere Tür geliefert werden, hat einen Preis. Wir haben nur noch nicht erkannt, welcher es ist“.

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