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New York Times prangert Arbeitsbedingungen an

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New York Times prangert Arbeitsbedingungen an
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Einzelfälle oder das Nachtreten enttäuschter ehemaliger Mitarbeiter – so wurden Berichte über schlechte Arbeitsbedingungen bei Amazon in der Vergangenheit nicht nur vom Unternehmen selbst heruntergespielt. Auch überzeugte Kunden des weltgrößten Online-Händlers verschlossen immer wieder die Augen vor Kritik am Umgang mit Mitarbeitern. Und dies, obwohl sich Vorwürfe immer wieder glichen – ob nun in deutschen oder britischen Versandzentren.

Ein umfassender Bericht der New York Times könnte nun aber so manchen Verteidiger eines Besseren belehren. Denn so umfassend wie nun fiel die Kritik in der Vergangenheit nicht aus. Zudem beruft sich die Zeitung nicht nur auf einige wenige ehemalige Angestellte, sondern auf mehr als 100 aus den verschiedensten Abteilungen, die mitunter noch immer bei Amazon aktiv sind. Im Kern drehen sich viele Beschwerden um Amazons Machtinstrument, die Erfassung aller erreichbaren Daten, sowie das weitestgehend fehlen sozialer Kompetenz auf Seiten der Führungskräfte.

Daten gehen über alles

Ersteres wird im Detail beschrieben, aber schon der grobe Umriss zeigt, wie versessen man jeden Aspekt dokumentieren will. So werden sämtliche Leistungen der Mitarbeiter auf Zeiten und Noten heruntergebrochen, um jeden Einzelnen benoten zu können. Aus Sicht der Angestellten wird dies vor allem dann problematisch, wenn bestimmte Abteilungen ihre Ziele nicht erreicht hätten. Denn in einer solchen Situation müssten die entsprechenden Leiter zu Entlassungen greifen, um die Zahlen zumindest aufzuhübschen. Diese treffen jedoch die, die die wenigen Punkte oder die schlechtesten Noten hätten – ob diese nun wirklich schlechte Leistungen erbracht hätten, spiele keine Rolle. Ein mögliches Praxisbeispiel: Selbst mit 90 von 100 Punkten ist man vor einer Kündigung nicht geschützt, schließlich könnten die Kollegen noch besser dastehen.

Nicht nur in den Versandzentren werden die Arbeitsbedingungen kritisiert

Nicht nur in den Versandzentren werden die Arbeitsbedingungen kritisiert

In die Bewertungen fließen aber auch ganz andere Aspekte ein. So unter anderem das „Anytime Feedback Tool“, das das teilweise anonyme Melden von Auffälligkeiten ermöglicht. Aufgrund des hohen Konkurrenzdrucks sei ein Missbrauch dieses Werkzeugs nicht auszuschließen. Aufgebaut wird dieser Druck ganz bewusst. So würden Führungskräfte erwarten, dass auch nach Mitternacht verschickte E-Mails binnen Minuten beantwortet würden – die gute Erreichbarkeit im Urlaub wird ebenfalls vorausgesetzt. Auch von Jeff Bezos selbst, wie ein Hardware-Entwickler berichtet. Man würde den Atem des CEOs regelrecht im Nacken spüren, so seine Formulierung. Ein ehemaliger Mitarbeiter bringt es auf den Punkt: Bei Amazon würden sich selbst „Overachiever“ schlecht fühlen.

Krebs und Fehlgeburt sind ein persönliches Problem

Die fehlende soziale Kompetenz belegen verschiedene Vorfälle. So wurde einer Mitarbeiterin, die aufgrund von Schilddrüsenkrebs ausfiel, mit einer schlechten Leistungsbewertung bestraft, eine andere musste am Tag nach einer Operation – aufgrund einer Zwillingsfehlgeburt – eine Geschäftsreise antreten. Die Begründung ihres Vorgesetzten: Die Arbeit müsse ja schließlich erledigt werden. Ein zynisches Nachtreten gab es dazu. Er wisse nicht, ob Amazon der richtige Platz für sie sei, wenn sie an die Gründung einer Familie denken würde.

Den negativen Höhepunkt des Berichts stellt jedoch eine andere Schilderung dar. Einer an Brustkrebs erkrankten Angestellten wurde indirekt mit der Kündigung gedroht, denn die Probleme in ihrem Privatleben würden mit den beruflichen Zielen kollidieren.

Die Reaktion von Jeff Bezos: Die New York Times würde lediglich von Anekdoten berichten

Die Reaktion von Jeff Bezos: Die New York Times würde lediglich von Anekdoten berichten

In den Gesprächen, so die Autoren Jodi Kantor und David Streitfeld, wäre der Druck deutlich geworden. 40-Jährige wären der Überzeugung gewesen, man werde sie durch 30-Jähirge ersetze, weil diese mehr Zeit für die Arbeit investieren würden. Die 30-Jährigen hätten sich jedoch ebenso geäußert, dort war die Angst, durch 20-Jährige ausgetauscht zu werden, vorhanden. Mit ein Grund für den schlechten Wert, den Amazon vor knapp zwei Jahren bei einer Untersuchung von PayScale erreichte. Denn im Schnitt, so das Fazit, würde ein Amazon-Mitarbeiter nach gerade einmal einem Jahr das Unternehmen verlassen. Zwar sprach Amazon damals von einer unzureichenden Datengrundlage, mehrere ehemalige Führungskräfte sprachen gegenüber der New York Times aber von einem System, das dahinter steckt und das durchaus als Darwinismus bezeichnet werden kann – nur der Stärkste überlebt.

Nur so sei aus Amazon das geworden, was es heute ist, so die Begründung. Und tatsächlich scheint sich dieses System für den ein oder anderen zu lohnen. Denn bestätigt wird von den Befragten auch, dass Bezahlung und andere Gratifikationen für diejenigen, die zu den „Stars“ im Unternehmen gehören, durchaus großzügig ausfallen würden. Von diesen seien dann aber auch Aussagen wie „Manch einer passt einfach nicht hier rein“ zu hören.

Der Chef will von allem nichs wissen

Unmittelbar nach der Veröffentlichung des Artikels reagierte Jeff Bezos selbst. Es würde sich lediglich um „Anekdoten“ handeln, die mit dem Amazon, das er täglich erlebe, nichts zu tun hätten. Sollten Mitarbeiter derartige Geschichten jedoch auch gehört haben, solle die Personalabteilung informiert werden. Schließlich dürfe man derart unsoziales Verhalten nicht tolerieren. Aber nicht nur von fehlenden Menschlichkeit will Bezos nichts wissen, soweit er informiert sei, gebe es auch den geschilderten Druck nicht. Wer in einem solchen Unternehmen, wie es im Bericht beschrieben werde, bleibt, müsse ja verrückt sein.

Quellen und weitere Links

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