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Die meist so kühle IT-Welt wird dominiert von technischen Daten, Messwerten und anderen Zahlen, Raum für Spekulationen meist nicht vorhanden. Deshalb erstaunt es die meisten Leser nicht, wenn auch gewöhnlich eher nüchterne Medien auf den „Klatsch und Tratsch“-Zug aufspringen. Denn hier kann man der Fantasie meist freien Lauf lassen, das enge Korsett der Berichterstattung über Smartphones, Notebooks oder Grafikkarten grenzt den eigenen Geist nicht ein.
Geradezu ein Paradebeispiel hierfür ist derzeit Microsoft, besser gesagt der vakante Posten des Vorstandsvorsitzenden. Nicht einmal eine Woche ist es her, dass Steve Ballmer seinen Rückzug angekündigt hat, doch schon überschlagen sich die Meldungen bezüglich seiner Nachfolge. Dabei ist nicht einmal klar, wann Ballmer abtritt, nächste Woche könnte es genauso gut passieren wie erst in sechs Monaten oder einem Jahr. Die Spekulanten interessiert dies nur wenig bis gar nicht, Namen passender und weniger passender Kandidaten werden dutzendfach in den Ring geworfen, wer bei drei nicht dementiert hat, wird als nächster Kapitän des Microsoft-Dampfers genannt.
Dabei muss man die Kollegen aber dennoch ein Stück weit in Schutz nehmen, denn leicht haben Ballmer und der Software-Konzern es einem nicht gemacht. Wo andere Unternehmen meist lange im Vorfeld an einer Nachfolgelösung arbeiten, oftmals bevor der amtierende Chef überhaupt etwas von seinem Abschied weiß, tappt man in Redmond noch im Dunkeln. Zumindest erweckt das noch sehr frische Organigramm diesen Eindruck, einen klaren Nachfolger oder eine Nachfolgerin konnte oder wollte Steve Ballmer im Zuge der von ihm initiierten Umstrukturierung „One Microsoft“ nicht in Position bringen. Nicht nur, dass allein dadurch schon viel Raum für Gedankenspiele geschaffen ist, auch die lange Liste an ehemaligen Microsoft-Managern, die anderweitig Karriere gemacht haben, will abgearbeitet werden; so zumindest scheint es die Presse zu sehen.
Die externe Variante
Namen wie Stephen Elop - derzeit Nokia - und Steven Sinofsky - derzeit ohne Job - fallen häufig, aber auch zahlreiche IT-Manager ohne Stallgeruch zieren derzeit viele Berichte: Von Facebook-Geschäftsführerin Cheryl Sandberg über Netflix-Chef Reed Hastings und Twitter-CEO Jack Dorsey bis hin zu Yahoo-Retterin Marissa Meyer reichen die Vermutungen, die nicht immer ganz erst gemeint sein können. Sandberg dürfte eher Freude am weiteren Ausbau eines dynamischen Unternehmens wie Facebook haben, als den Öltanker Microsoft wieder auf Kurs zu bringen. Hastings hingegen dürfte schlicht die Erfahrung mit großen Konzernen fehlen, gerade einmal gut 2.000 Mitarbeiter sowie eine Jahresumsatz von 3,6 Milliarden US-Dollar durfte der 52jährige zuletzt verantworten. Zum Vergleich: Microsoft bringt es auf annähernd 100.000 Mitarbeiter sowie 77,8 Milliarden US-Dollar. Zudem wäre die Fortsetzung der Microsoft-Umstrukturierung eine ganz andere Hausnummer als die behutsame Ausbreitung des Netflix-Angebots. Generell ist deshalb die Nennung von Meyer in diesem Zusammenhang verständlich. Schon bei Google mit viel Einfluss ausgestattet, kann sie ihre Vorstellung eines modernen Internet-Unternehmens nun seit gut einem Jahr bei Yahoo ausleben. Und der Erfolg gibt ihr durchaus Recht, steigende Zugriffszahlen belegen dies. Warum also sollte sie vor der Fertigstellung ihres Planes zu Microsoft wechseln? Geld dürfte hier nicht der entscheidende Faktor sein.
Gleiches gilt für die beiden auch von englischen Buchmachern hochgehandelten Microsoft-Ehemaligen Elop und Sinofsky. Ersterer durfte sich ganze zwei Jahre an der Führung der Business-Sparte in Redmond versuchen, bevor er nach Finnland wechselte, um Nokia wieder auf Kurs zu bringen, letzterer nahm Ende 2012 dankend seinen Hut und verabschiedete sich nach mehr als 20 Jahren von Microsoft. Während Elop oftmals noch hausbackener als Ballmer wirkt und seine Bilanz bei Nokia trotz klar aufsteigender Tendenz noch immer eher durchwachsen ist, soll Sinofsky eher im Streit als in Frieden gegangen sein. Ausgerechnet sein Wunsch, der nächste Vorstandsvorsitzende zu werden, soll zum Bruch geführt haben. Warum also sollten Bill Gates und sein Aufsichtsrat nun auf ihn zurückgreifen?
Das Prinzip Beförderung
Blieben also diejenigen, die zur derzeitigen Cxx und VP-Garde Microsofts gehören: COO Kevin Turner, CFO Amy Hood sowie die Executive Vice Presidents Tony Bates, Julie Larson-Green und Terry Myerson. Alle fünf gehören dem Unternehmen seit geraumer Zeit an und wurden größtenteils im Zuge von „One Microsoft“ mit deutlich mehr Macht ausgestattet. Warum aber nun diese Namen fallen, obwohl es erst vor sechs Wochen hieß, dass Ballmer keinen Nachfolger in Position gebracht hat, dürfte ein größeres Rätsel bleiben.
Wer auch immer letzten Endes das Zepter in die Hand nimmt, dürfte vor einer schwierigen Aufgabe stehen. Denn obwohl Microsoft zuletzt viel gewagt hat, um mit den Trendsettern der Branche mitzuhalten, die Trendwende ist nicht einmal annähernd geschafft. Möglicherweise stand Steve Ballmer sich hier selbst im Weg, er, der eigentlich aus der Welt der Zahlen und Finanzen kam und den staubtrockenen Windows- und Office-Konzern in einen hippen Anbieter von Smartphones, Tablets und Touch-Betriebssystemen umbauen sollte.