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Die Kamera des Huawei Mate 9 im Detail

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Wenn schon die erste Generation überzeugt, wie gut ist dann die zweite? Diese Frage stellt sich beim Mate 9, dem zweiten Huawei-Smartphone mit Dual-Kamera-Lösung auf der Rückseite. Im Test konnte das Gerät überzeugen, auch und vor allem aufgrund der hohen Qualität der aufgenommenen Fotos und Videos. Doch wer das meiste aus der gemeinsam mit Leica entwickelten Kamera herausholen will, sollte einen Blick unter die Oberfläche werfen.

Dabei lohnt es zunächst, sich die recht kurze Historie der Dual-Kameras im Smartphone-Bereich anzuschauen. Den Anfang wagte im Februar LG mit dem G5. Dort setzt man auf zwei Kamera-Module, die zwar gemeinsam in einer Aufnahme genutzt werden können, die aber zumindest technisch aufgrund verschiedener Auflösungen und Brennweiten nicht viel miteinander gemein haben. Dass die Aufnahmen qualitativ nicht die hohen Erwartungen erfüllen konnten und das Zusammenspiel tatsächlich mehr eine Spielerei war, zeigte der Test.

Einen sehr ähnlichen Ansatz verfolgt Apple mit dem im September vorgestellten iPhone 7 Plus. Zwei gleichgroße Sensoren, aber auch hier zwei unterschiedliche Brennweiten und zudem in einem Fall eine eher lichtschwache Blende - dafür aber mit regen Datenaustausch zwischen den beiden rückwärtigen Kameras. Denn damit realisiert man den simulierten optischen Zoom sowie Aufnahmen mit Bokeh. Schnell zeigte sich aber, dass weder der Zoom noch der Tiefenschärfe-Effekt hohen Ansprüchen genügt.

Besser machte es da das zu diesem Zeitpunkt bereits fast ein halbes Jahr auf den Markt befindliche Huawei P9 - zumindest mit Blick auf Bokeh. Die Konstruktion bestehend aus zwei Sensoren mit je 12 Megapixeln, der gleichen Blende und Brennweite sowie der Software sorgte im Test dafür, dass die qualitative Lücke zwischen Smartphone und echter Kamera kleiner wurde. Den Anspruch, teure Fotoapparate obsolet zu machen, hatte und hat Huawei allerdings nicht.

Was auch für das Mate 9 gilt.

Dessen Kamera-Hardware weicht in einigen Teilen von der des P9 ab, es gibt aber auch zahlreiche Parallelen. Zu diesen gehört der Einsatz je eines RGB- und Monochrom-Sensors mit jeweils gleicher Optik. Die wurde unverändert übernommen. Es bleibt somit bei Blende f2.2, einer Brennweite von 27 mm (Kleinbildäquivalent 35 mm) sowie einer asphärisch geformten Oberfläche. Das minimiert Abbildungsfehler, die bei sphärischen Linsen andernfalls mit hohem Aufwand nachträglich per Software entfernt oder verringert werden müssen. Allerdings ist die Fertigung asphärischer Modelle aufwendiger und teurer, weshalb im Smartphone in der Regel auf sie verzichtet wird.

Ebenfalls unverändert geblieben ist der LED-Blitz, bei dem auf zwei unterschiedlich farbene Dioden (True Tone) gesetzt wird. Wann welche LED zum Einsatz kommt, entscheidet die Software selbstständig.

Kleine Änderungen mit großen Auswirkungen

Was der Nutzer mit bloßem Auge nicht erkennen kann, sind die Veränderungen. Der RGB-Sensor löst erneut mit 12 Megapixeln auf und bietet Pixel mit einer Kantenlänge von 1,25 Mikrometern (Sony IMX286), der Monochrom-Sensor verfügt nun aber über 20 statt 12 Megapixeln. Welcher Chip dabei konkret zum Einsatz kommt, ist unbekannt.

Nur dem RGB-Sensor hat Huawei einen optischen Bildstabilisator (OIS) spendiert, womit man einem der größten Kritikpunkte des P9 begegnet. Den Verzicht auf einen OIS für den Monochrom-Chip erklärt man mit dessen höherer Auflösung im Vergleich zum Farbsensor. Das Mehr an Pixeln könne eventuelle Verwackler ausgleichen, was sich allerdings lediglich auf die Rolle als Zulieferer beziehen dürfte. Denn anders als der Bereitstellung von Tiefeninformationen kommt es bei der Aufnahme von Monochrom-Fotos natürlich auf eine hohe Genauigkeit an.

Nur indirekt können Nutzer die Veränderung des Fokus-Systems bemerken. Während man schon beim P9 mit Kantenkontrast, Tiefenmessung und Laser die korrekte Schärfe einstellen konnte, gibt es beim Mate 9 mit dem Phasenvergleich nun eine vierte Methode. Welche Fokus-Art letztlich genutzt wird, kann nicht beeinflusst werden - sieht man einmal vom Zuhalten des Laser-Fokus ab. Grundsätzlich setzt das Smartphone auf eine Hybrid-Messung, bei der alle vier Methoden zum Einsatz kommen. Der Grund hierfür: Je nach Situation hat jede Art ihre Vor- und Nachteile. Das gilt insbesondere für die Bestimmung per Laser, die nur eine vergleichsweise geringe Reichweite von bis zu etwa 1,5 m hat, dafür aber auch bei Dunkelheit problemlos funktioniert.

Die Entscheidung für die vierte Fokus-Methode dürfte am Geschwindigkeitsgewinn bei größeren Entfernungen und ausreichend Licht liegen. Denn die Fokussierung per Phasenvergleich erfolgt in der Regel schneller als beim Einsatz der Tiefen oder Kantenkontrast-Messung. Dadurch ist es möglich, Fotos in weniger als einer Sekunde zu schießen; bei gesperrtem Gerät muss die Leiser-Taste zweimal gedrückt werden, um eine Aufnahme zu erhalten, die insgesamt benötigte Zeit wird eingeblendet.

Zu guter Letzt spielt der neu platzierte Image Signal Processor (ISP) eine wichtige Rolle. Der sitzt nun im SoC und bietet auch deshalb eine höhere Leistung, die sich in erster Linie beim Bokeh, aber auch generell bemerkbar machen soll.

  Huawei Mate 9 Huawei P9
RGB-Sensor - Auflösung 12 MP 12 MP
RGB-Sensor - Blende 2.2 2.2
RGB-Sensor - Brennweite 27 mm 27 mm
RGB-Sensor - Stabilisator optisch nein
     
Monochrom-Sensor - Auflösung 20 MP 12 MP
Monochrom-Sensor - Blende 2.2 2.2
Monochrom-Sensor - Brennweite 27 mm 27 mm
Monochrom-Sensor - Stabilisator nein nein
     
Autofokus-Modi

Laser
Kantenkontrast
Tiefenfokus
Phasenvergleich

Laser
Kantenkontrast
Tiefenfokus

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Inwiefern Leica bei der Entwicklung der neuen Kamera-Generation mitgewirkt hat, wird nicht eindeutig kommuniziert. Klar ist, dass das traditionsreiche deutsche Unternehmen erneut eng mit Huawei zusammengearbeitet hat. Hat sich an der Aufgabenverteilung im Vergleich zum P9 nichts verändert, hätte Leica alle wichtigen Komponenten zertifiziert sowie an der Entwicklung des Gesamtsystems inklusive Applikation beteiligt war.

Bei einer üblichen Smartphone-Kamerakonfiguration ist die Aufgabenteilung klar. Der Sensor ist im Zusammenspiel mit dem ISP für das Fokussieren und Aufnehmen des Motivs zuständig, zusätzlich ermöglicht der ISP diverse Zusatzfunktionen wie beispielsweise Onboard-HDR, Filter oder das rudimentäre Korrigieren des Bildes.

Das Mate 9 weicht von dem wie schon das P9 in weiten Teilen ab, teils deutlich. Dies beginnt beim bereits erwähnten Fokussieren, es gilt aber auch für die Verteilung der Aufgaben. Jeder der beiden Sensoren kann das Fokussieren übernehmen, gleichzeitig dabei aber auch dem jeweils anderen als Helfer dienen. Eine Ausnahme stellt der Modus „Große Blende“ dar. Für die Erschaffung des Bokehs werden die Bildinformationen des RGB- sowie die Tiefeninformationen des Monochrom-Sensors benötigt. Ist letzterer verdeckt oder aus einem anderen Grund nicht nutzbar, wird das Foto zwar grundsätzlich geschossen, es fehlt aber der so typische Tiefenschärfeeffekt und auch eine nachträgliche Änderung des Fokus-Punktes ist nicht möglich. Das zeigt deutlich, wie die Zusammenarbeit der beiden Kameras aussieht. Die Informationen beider Sensoren werden innerhalb einer Datei gespeichert, der Nutzer sieht hingegen lediglich das gespeicherte JPG.

Aber auch insgesamt gilt: Wie welche Komponenten genutzt und kombiniert werden, geschieht weitestgehend unbemerkt vom Nutzer im Hintergrund, was die Bedienung der Kamera erleichtert.

Hybrid ist besser als digital

Wichtig ist das vor allem beim Einsatz des Hybrid Zoom genannten Systems. Denn durch das über Jahre hinweg gepredigte „Nutze nicht die Zoom-Funktion einer Smartphone-Kamera!" dürfte es beim ein oder anderen Nutzer eine gewisse Hemmschwelle geben.

Grundsätzlich unterscheidet sich der Hybrid Zoom bei der Nutzung nicht vom zu Recht geschmähten Standard-Digital-Zoom. Mit der bekannten Pinch-to-Zoom- respektive Unpinch-to-Zoom-Geste auf dem Display wird das gewünschte Motiv dichter herangeholt, bzw. wieder der normale Zoom-Faktor eingestellt. Dabei erscheint am oberen Bildrand eine zweigeteilte Leiste. Die rechte Hälfte ist durchgängig weiß, die linke lediglich gestrichelt. Markiert werden damit der Bereich des Hybrid Zooms (rechts) und des darauf folgenden gewöhnlichen Digital-Zooms (links). Erreicht der gelbe Marker, der alternativ zur Zoom-Geste verschoben werden kann, die Mitte, rastet er ein, um ein versehentliches Wechseln in den Digital-Zoom zu vermeiden.

An der weiteren Bedienung ändert sich nichts, die tatsächiiche Aufnahme wird wie üblich erstellt.

Warum Huawei diese Funktion explizit bewirbt und auf eine höhere Qualität als bei Apples iPhone 7 Plus verweist, liegt in der Technik des Mate 9 sowie deren Verküpfung miteinander begründet. Denn für alles, was zwischen Zoom-Stufe 1,1 und 2,0 liegt, nutzt das Smartphone beide Kamera-Sensoren. Der 20-Megapixel-Sensor steuert die Bildinformationen hinzu, der 12-Megapixel-Sensor die Farbinformationen. Unter anderem der ISP sorgt dann für die korrekte Berechnung der Daten.

Dass die Qualität bei diesen Vergrößerungsstufen über der von Apple liegen soll, begründet Huawei vor allem mit zwei Details. Denn während die beiden rückwärtigen Kameras des iPhone 7 Plus über unterschiedliche Brennweiten verfügen, sind diese beim Mate 9 identisch. Zudem liefern beide Sensoren des iPhones nur 12 Megapixel, ein Zusammenspiel wie beim Mate 9 ist somit nicht möglich.

Genutzt werden kann der Hybrid Zoom aber nicht in allen Modi. Verfügbar ist er lediglich in den Einstellungen Foto und Verschönern, im Modus Große Blende kann darüber hinaus nur diese Vergrößerungsart gewählt werden. In allen anderen Fällen ist ein Zoom entweder generell nicht nutzbar - beispielsweise im Pro-Modus mit aktivierter Speicherung der Aufnahmen im RAW-Format - oder es wird nur der übliche Digital-Zoom geboten.

Was, wann, wie

Eine ganze Spur unübersichtlicher wird es, wenn es um die verschiedenen Modi und Zusatzoptionen geht. Im Vergleich zum P9 hat sich in dieser Beziehung kaum etwas geändert. Am einfachsten ist es noch im reinen Foto-Modus. Hier kann der Nutzer auf alle Funktionen zurückgreifen, darunter die Filter mitsamt Live-Vorschau, den Große-Blende-Modus für Tiefenschärfe/Bokeh und natürlich auch die Pro-Einstellungen.

Leider offenbart die Kamera-Applikation im Foto-Setting einen kleinen Fehler innerhalb der Optionen. Über den Punkt Auflösung können 20 Megapixel ausgewählt werden, dies bezieht sich allerdings nur auf den Monochrom-Sensor und den dazugehörigen Modus. Dennoch sollte diese höchstmögliche Auflösung gewählt werden, da so kein Hin- und Herschalten beim Wechsel zwischen RGB- und Monochrom nötig wird. Allerdings muss man dann auf den Hybrid Zoom verzichten, dieser setzt eine eingestellte Auflösung von 12 Megapixeln voraus.

In allen anderen Modi muss beim Fotografieren mit Einschränkungen gerechnet werden. So steht der Verfolgungs-Autofokus nur in den Einstellungen Foto und HDR zur Verfügung, Filter gibt es nur in Kombination mit Foto, Verschönern und HDR, die Pro-Einstellungen nur bei Foto und Monochrom. Einzig die Farbprofilwahl ist in allen Modi abgesehen von Monochrom verfügbar. Damit lässt sich in zwei Stufen der typische Leica-Look simulieren.

Foto-Modi V-AF Filter TS Pro Farbprofil
Foto ja ja ja  ja ja
Monochrom nein nein nein ja nein
Verschönern nein ja nein nein ja
Panorama nein nein nein nein ja
HDR ja ja nein nein ja
Lichtmalerei nein nein nein nein ja
           
Video-Modi VST V-AF Filter FPS Farbprofil
Video (1080p30) ja ja ja 30 ja
Video (1080p60) nein nein ja 60 ja
Video (2160p30) nein nein ja 30 ja
Video (720p) ja ja ja 30 ja
Beauty-Video ja ja ja 30 ja
Zeitraffer nein nein ja 30 ja
Zeitlupe (1080p120) nein nein nein 120 ja
Zeitlupe (720p240) nein nein nein 240 ja
 
VST: Videostabilisierung; V-AF: Verfolgungs-Autofokus
TS: Tiefenschärfe; Pro: Pro-Modus auswählbar

Unübersichtlich ist es auch in Bezug auf die Video-Fähigkeiten des Mate 9. Hier wird, so zumindest unserer Erfahrungen, lediglich der RGB-Sensor genutzt - auch für das Fokussieren. Geht es um Aufnahmen ohne Zusatzeffekte, stehen mit 720p (HD), 1080p (Full-HD) und 2160p (UHD/4K) die drei derzeit wichtigsten Auflösungen zur Wahl.

Wer auf Verfolgungs-Autofokus oder eine digitale Bildstabilisierung nicht verzichten will, muss mit 720p oder 1080p bei 30 Bildern pro Sekunde vorliebnehmen. Beide Zusatzfunktionen werden weder bei 1080p mit 60 Bildern noch bei 2160p angeboten. Dafür bietet die Kamera jedoch die Möglichkeit, Filter und Farbprofil in nahezu allen Video-Modi dazu zuschalten.

Auf fast alles verzichten muss man hingegen bei Zeitlupen - unabhängig davon, ob diese mit 1080p bei 120 oder 720p bei 240 Bildern pro Sekunde aufgezeichnet werden. Im Zeitraffer-Modus, den es im Mate 9 anders als bei vielen Snapdragon-82x-Smartphones gibt, können immerhin noch Filter und Farbprofil gewählt werden; aufgenommen wird in 720p mit 30 Bildern pro Sekunde.

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