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Nachdem wir die theoretische Struktur einer nachhaltigen Netzpolitik festgehalten haben, wollen wir noch näher auf die Kerninhalte einer möglichen politischen Agenda eingehen. In der aktuellen öffentlichen Diskussion stehen insbesondere der Disput des Datenschutzes und der Netzanonymität im Mittelpunkt, weshalb wir uns dieser Thematik gesondert annehmen wollen.
Die zentrale Fragestellung, die allen inhaltlichen Diskussionen vorangeht, ist jedoch die Frage, wann Bürgerrechte (im Internet) enden und wann die öffentliche Sicherheit zum Nachteil der persönlichen Freiheit zum Zuge kommt. Im aktuellen Positionspapier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion "Die Freiheit des Internet sichern und erhalten" wird dieser Dialog wie folgt bewertet. "Freiheit kann sich nur in Sicherheit entfalten." (...) "Freiheit muss ihre Grenzen dort finden, wo die Rechtsgüter anderer unrechtmäßig verletzt werden." (...) "Der Staat muss auch im Internet handlungsfähig sein", weswegen es "kein grundsätzliches Recht auf Anonymität" gäbe. Man müsse mit "seiner eigenen Identität am öffentlichen Meinungskampf teilnehmen" (...), "eine anonyme Teilnahme am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess ist abzulehnen". Die Mindestspeicherungsfrist, also die Vorratsdatenspeicherung über eine begrenzte Periode, gelte weiterhin. Fernerhin spricht man vom "Prinzip der Regulierung und Selbstregulierung". Fehle es an einer geeigneten Selbstregulierung oder sei diese nicht ausreichend, müsse der Staat (auch zum Schutz der Allgemeinheit) die Rahmenbedingungen vorgeben. "Kein Provider sollte Rechner am Netz lassen, von denen eine Gefahr ausgeht".
Lars Klingbeil – Minister des Bundestages und Berichterstatter für neue Medien der SPD-Bundestagsfraktion
Gegenüber der Redaktion äußerte sich Lars Klingbeil von der SPD-Bundestagsfraktion zum vorgestellten Positionspapier der CDU/CSU-Fraktion wie folgt. Nach dem Telemediengesetz gäbe es das "Recht auf Anonymität", es wäre daher eine reine Symboldebatte und der Schutz der Anonymität im Internet müsse durch die Politik gewährleistet werden. Angestoßen von der Vorratsdatenspeicherung sollten Daten wie auch IP-Adressen - wenn überhaupt - grundsätzlich nur anonym erhoben und nicht unmittelbar mit einer realen Person in Verbindung zu bringen sein. Man müsse sich die Frage stellen, welche Daten man wirklich brauche. Websperren seien keine Option, das Prinzip der "Regulierung und Selbstregulierung" spiele nur den Regulatoren in die Hände. Eine umfassende Aufklärungsarbeit seitens der Politik müsse folgen.
Philip Brecher von der Piratenpartei Berlin dazu: Den rechtsfreien Raum im Internet, wie er im Positionspapier formuliert sei, gebe es nicht. Die Integrität der Daten müsse sichergestellt werden. Über die Notwendigkeit einer Aufklärungsarbeit hinaus hält er an einer Differenzierung der Straftaten im Internet fest. Anonymous halte er nicht für eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, weswegen von einer strafrechtlichen Verfolgung abgesehen werden solle. Die Unternehmen seien selbst schuld, wenn Ihre Infrastruktur nicht ausreichend gesichert sei. "Der Rechtsstaat darf sich nicht für die Machenschaften der Wirtschaft einspannen lassen".
Tatsache ist: Man muss sich dem Dialog aus der Sicherheit aller und der Freiheit des Einzelnen stellen. Dass die Freiheit dabei ihre Grenzen in der Rechtsstaatlichkeit findet, steht nicht zur Diskussion. Das Recht auf Anonymität ist seitens des Telemediengesetztes §13 Abs. 4 und Abs. 6 aber eindeutig festgelegt. "(4) Der Diensteanbieter hat durch technische und organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass Nutzungsprofile nach § Abs. 3 nicht mit Angaben zur Identifikation des Trägers des Pseudonyms zusammengeführt werden können. (6) Der Diensteanbieter hat die Nutzung von Telemedien und ihre Bezahlung anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist. Der Nutzer ist über diese Möglichkeit zu informieren." Ferner wurde dies beispielsweise vom OLG Hamm im Einzelfall "Recht auf anonymisierte Internetnutzung" bekräftigt. "Die im Streitfall vorzunehmende Abwägung zwischen dem demnach bestehenden Recht auf Kommunikationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG und dem Inhalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung des Klägers nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG führt im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass dem Recht der Kommunikationsfreiheit der Vorrang zu gewähren ist."
Das Prinzip der Regulierung und Selbstregulierung ist ebenso hinfällig, jeder ist für sein Handeln und seine Sicherheit im Internet selbst verantwortlich. Wer sowohl aufseiten der Verbraucher wie der Dienstleister auf veraltete Software setzt, handelt (grob) fahrlässig. Der Satz "Kein Provider sollte Rechner am Netz lassen, von denen eine Gefahr ausgeht", kann ,wenn überhaupt, nur im Kontext einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit Anwendung finden und dürfte darüber hinaus aus Sicht des Grundgesetzes stark umstritten sein. Ein Vorbild nach dem französischem "Three Strikes-Gesetz" - bezogen auf die alleinige Sperrung und nicht den thematischen Hintergrund - , was in Teilen immer wieder auf Sympathisanten stößt, ist in Deutschland fernerhin verfassungswidrig. Hier sollte eine umfassende Aufklärungsarbeit an erster Stelle stehen.
Eine Differenzierung der Straftaten im Internet, wie sie die Piratenpartei für gangbar hält, ist darüber hinaus das andere Extrem. Vor dem Gesetz ist jeder gleich, egal aufgrund welcher politischen Motivation er handeln mag. Das Gewaltmonopol ist in Deutschland eindeutig geregelt, Selbstjustiz ist und bleibt strafbar. Dass sich der Rechtsstaat für die Wirtschaft einspannen lassen würde, ist in diesem Zusammenhang schlicht aus dem Kontext gerissen und fachlich unkorrekt. Straftaten gehören geahndet, egal welcher Hintergrund dahinterstecken mag!