TEST

Mercedes-Benz E-Klasse (W213) im Test - Assistiertes Fahren in der Praxis

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Was in der Theorie schwer zu erlernen wirkt, entpuppt sich im Alltag als schnell begreif- und umsetzbar. Das liegt zum einen an der einfachen Bedienung, aber auch der von Mercedes-Benz gut getroffenen Mischung aus vordergründigen Informationen für den Fahrer und im Hintergrund verlaufenden Aktionen, die unbemerkt bleiben. So ist es möglich die ganze Bandbreite an Assistenzsystemen schon nach wenigen Kilometern problemlos im vollen Umfang zu nutzen - wobei man hier nur vom Drive Pilot mitsamt Spurwechsel- und Geschwindigkeits-Assistent sprechen sollte. Schließlich soll und will niemand die Palette an Sicherheits-Helfern ausprobieren.

Ist der Drive Pilot aktiv, kann sich der Fahrer im übertragenen Sinne entspannen. Abschalten und ein Buch lesen ist damit nicht gemeint, nicht ohne Grund spricht man in Stuttgart vom assistierten respektive teilautomatisierten und nicht vom (teil-)autonomen Fahren. Allerdings entpuppte sich das System während des gesamten Tests weitestgehend als derart zuverlässig, dass weder Stop-and-Go-Fahrten in der Stadt, noch längere Autobahn-Strecken die Konzentrationsfähigkeit und Belastbarkeit des Fahrers wie in einem Fahrzeug ohne derartige Assistenten auf die Probe stellten. Tatsächlich steigt man nach 250 km auf der Autobahn mit zahlreichen Baustellen deutlich entspannter aus der neuen E-Klasse aus.

Es fehlt an der Verknüpfung von Daten

Eine Bedingung hierfür ist aber, dass man sich auf das System einlässt und seine Eigenheiten akzeptiert; der Begriff Schwächen würde einen falschen Eindruck erwecken. Der erste Punkt betrifft dabei den Umgang mit Geschwindigkeitsbegrenzungen. Wer sich voll und ganz auf den Geschwindigkeitslimit-Piloten verlässt, muss unter Umständen mit aufgebrachten Verkehrsteilnehmern oder Bußgeldern rechnen.

Ist Tempo 50 erlaubt, fährt die neue E-Klasse regelrecht Strich 50, das gleiche gilt für alle anderen Limits. Damit verhält man sich zwar regelkonform, wird aber eventuell auch zum rollenden Hindernis. Ein zuverlässiger Schutz vor Blitzern ist der Assistent aber auch nicht. Denn beim Umgang mit wechselnden Tempo-Limits zeigt sich keine einheitliche Linie. Vor Ortschaften beginnt das Fahrzeug beispielsweise vorbildlich so früh mit dem Verzögern, dass am Ortseingangsschild nur noch mit 50 km/h gefahren wird. Genau das Gegenteil ist der Fall, wenn aus erlaubten 100 km/h nur noch 70 werden: Das verlangsamen setzt erst unmittelbar nach dem Passieren des entsprechenden Verkehrsschilds ein, unter Umständen ist man so noch einige Meter zu schnell unterwegs - so manchen Blitzer dürfte das freuen.

Warum das so ist, kann nicht in Gänze aufgeklärt werden, es verwundert angesichts der Reichweite der Kameras und der Präzision des Kartenmaterials - das sich im Test als sehr genau entpuppte - aber. Hinzu kommt, dass Mercedes-Benz auf zwei unterschiedliche Arten der Erkennung setzt. Die Navigations-Software liefert lediglich Informationen bezüglich Ortseingängen und generellem Straßentyp (Autobahn, Landstraße etc.), alle andere Daten liefern die Kameras. Dem Stand der Technik entspricht das nicht, wie andere Hersteller zeigen.

Die Verkehrszeichenerkennung arbeitet aber generell sehr zuverlässig, nur in sehr wenigen Fällen wurden Schilder gar nicht oder nicht korrekt erkannt. Probleme hatte das System dabei vor allem mit den Zeichen 325.1 und 325.2, die einen verkehrsberuhigten Bereich („Spielstraße“) markiert und mit Zusatzschildern unter Tempolimits; mal wurde eine zeitliche Einschränkung korrekt erkannt, mal nicht. Die Fähigkeit, eine Zusatzinformation wie Zeiten oder Straßenverhältnisse korrekt auszuwerten und beim Assistieren zu berücksichtigen, gibt es nicht.

Der Mensch fährt vorausschauender

Aber auch beim zweiten Punkt geht es in gewisser Weise um die Geschwindigkeit. Während der Drive Pilot zuverlässig den Abstand zum Vordermann einhält und entsprechend das Tempo reguliert, entpuppt er sich in zwei Punkten als zumindest etwas widersprüchlich agierend. Verlässt der Vordermann die eigene Spur, wird die Geschwindigkeit erst dann erhöht, wenn das Fahrzeug die Spur vollständig verlassen hat. Das System geht hier auf Nummer sicher, auch wenn ein menschlicher Fahrer aus dem Verhalten des Vordermanns klar schließen könnte, wann mit der Beschleunigung begonnen werden kann. Auf der anderen Seite beginnt der Drive Pilot erst vergleichsweise spät mit dem Bremsen, wenn sich der Abstand zum Vordermann verringert. Zwar wird frühzeitig mit dem Gaswegnehmen begonnen, eine gleichmäßige Verzögerung findet aber nicht statt. Ein Gefühl der Unsicherheit entsteht dadurch nicht, komfortabel und verschleißarm ist eine solches Verhalten aber im Vergleich zu einem erfahrenen Fahrer aber nicht.

Dazu passt auch, dass man nicht von einer wirklich vorausschauenden Fahrweise sprechen kann. Wo der menschliche Fahrer den Wagen rollen lassen würde, versucht der Drive Pilot zunächst auf das eingestellte Tempo zu beschleunigen, nur um nach wenigen Sekunden wieder bremsen zu müssen. An seine Grenzen gelangt das System aber auch bei Geschwindigkeitslimits, die an eine bestimmte Gefährdung gekoppelt sind, eine Beschleunigung bleibt nach dem Passieren der Gefahrenstelle aus.

Mehr Hilfe gibt es derzeit nicht

Was hier negativ klingt, ist in fast allen Fällen aber immer noch auf dem Niveau der Mitbewerber oder darüber - vor allem beim Blick auf den Drive Pilot. Aber genau aus diesem Grund dürfte Mercedes-Benz lediglich vom assistierten und teilautomatisiertem und eben nicht vom (teil-)autonomen Fahren sprechen. Auch in der neuen E-Klasse sollte der Fahrer trotz aller Helferlein jederzeit bereit zum Eingriff sein.

Gerade deshalb fällt es schwer, einen ganz bestimmten Punkt zu kritisieren. Ist es dem Spurhalte-Assistenten nicht möglich, eine Streckenführung zu erkennen oder die Spur aus anderen Gründen nicht zu halten, wird dies dem Fahrer nur am Rande mitgeteilt - das entsprechende Symbol blinkt kurz auf und wechselt dabei von grün zu grau. Sind die Hände in diesem Moment nicht am Lenkrad, kann es unter Umständen zu schwerwiegenden Folgen kommen.

Auf dem Testgelände der Stuttgarter konnten wir uns davon überzeugen, dass die Bremsassistenten im Zweifelsfall zuverlässig eingreift. Das Erkennen von Personen, die auf die Straße laufen erfolgte genauso präzise wie das Erkennen eines Stauendes. In den simulierten Fällen wären Unfälle und Verletzungen ausgeblieben, Mercedes-Benz räumt aber ein, dass es nicht immer derart glimpflich ausgehen könnte.

Denn trotz aller Technik können die Regeln der Physik nicht außer Kraft gesetzt werden. Eine punktuell glatte Straßenoberfläche kann das System beispielsweise ebenso wenig vorhersehen wie einen direkt vor das Auto laufenden Menschen. Man verspricht aber, dass die Folgen einer Kollision für alle Beteiligten zumindest abgeschwächt werden. Während der Testkilometer in der neuen E-Klasse konnten wir uns davon Gott sei Dank nicht überzeugen.

Parken à la Knight Rider

Ganz anders sieht es bei einem nicht sicherheitsrelevanten Assistenten aus, der sich als mehr als ein Spielzeug entpuppt hat. Wer sich für den Park-Piloten entscheidet, kann die neue E-Klasse selbsttätig in Längs- und Querparklücken manövrieren lassen und ihr auch das Ausparken überlassen; bei Querlücken kann die jeweilige Ausrichtung und Ausparkrichtung des Fahrzeugs gewählt werden. Das Fahrzeug übernimmt sowohl die Lenkbewegungen als auch das Beschleunigen, Bremsen und den Gangwechsel.

Das gelang im Test auch in derart engen Lücken, dass das Aussteigen nicht mehr möglich war. Probleme hatte das System nur in Fällen, in denen der Bordstein nicht korrekt erkannt werden konnte.

Dabei muss der Fahrer den Park-Piloten nicht dediziert aktivieren. Bis zu einem Tempo von 35 km/h erfassen die seitlichen Ultraschallsensoren freie Parkplätze, ein Symbol im Kombiinstrument weist darauf hin. Ein Druck auf die dazugehörige Taste in der Mittelkonsole bringt dann die Benutzeroberfläche auf das Display des Infotainment-Systems. Dort werden alle notwendigen Schritte klar und deutlich dargestellt.

Wer sich für Park-Piloten und 360-Grad-Kamera entscheidet, kann zusätzlich auch den Remote Park-Piloten erwerben. Damit ist es möglich, das Ein- und Ausparken außerhalb des Fahrzeugs durchzuführen. Benötigt wird dafür ein iPhone mitsamt Parking-Pilot-Applikation, an einer Android-Fassung wird noch gearbeitet. Nach dem einmaligen Verbinden von Smartphone und Fahrzeug kann es wie von Geisterhand gesteuert bewegt werden. Der Nutzer mitsamt Fahrzeugschlüssel darf sich dabei nicht weiter als 3 m vom Auto entfernen und muss über gleichmäßige Kommandos innerhalb der App signalisieren, dass er aufmerksam ist. Von Vorteil ist diese Fernsteuerung vor allem in engen Garagen, aber auch in Parkhäusern.

Der Nachteil: Der Dienst muss alle drei Jahre neu erworben werden, fällig werden dann jedes Mal 139 Euro.

Multibeam ist ein Must-have

Eine sehr empfehlenswerte Investition sind die rund 2.300 Euro teuren Multibeam-LED-Scheinwerfer. Nicht nur, dass sie deutlich mehr Licht als die serienmäßig verbauten H7-Scheinwerfer spenden, sie verteilen es auch intelligent.

Möglich wird das durch 84 LEDs pro Scheinwerfer, die einzeln ein- und ausgeschaltet werden können. Welche Diode tatsächlich genutzt wird, berechnen die vier zuständigen Steuergeräte 100-mal pro Sekunde, Grundlage sind dabei die von den Frontkameras gelieferten Informationen. Je nach Situation werden automatisch passende Modi aktiviert, beispielsweise Landstraßen- oder Abbiegelicht. Bei aktiviertem Fernlicht-Assistenten werden vorausfahrende oder entgegenkommende Fahrzeuge durch abschalten der entsprechenden LEDs ausgeschnitten und somit nicht geblendet. Im Test reagierte nur ein einziger entgegenkommender Fahrer mit Lichthupe, hier hatte das System in einer Kurve Sekundenbruchteile zu früh wieder auf volle Helligkeit geschaltet.

Bestandteil der Multibeam-LED-Scheinwerfer sind auch LED-Tagfahrlicht in der Mercedes-typischen Lichtsignatur, LED-Blinker sowie Nebelscheinwerfer in LED-Technik.

Quellen und weitere Links

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