@ eXtremist: Ich gebe dir Recht, dass jede Sache immer zwei Seiten hat. Und so eben auch bei diesem Thema. Dass die Debatte von beiden Seiten sehr leidenschaftlich, und nicht immer objektiv geführt wird, stimmt. Ich möchte trotzdem noch mal kurz darauf eingehen, woher z.B. für mich dieser Unmut kommt:
Es geht nicht nur darum, die "Freiheit des Internets", wie auch immer man sie definiert, zu erhalten. Fakt ist doch, dass schon seit Jahren Gesetze erlassen werden, die mit neuen "Technologien" machen, was sie wollen. Fangen wir einfach mal an mit der massenhaften Speicherung von Daten: Biometrischer Fingerabdruck, Fluggastdatenspeicher, Kooperationsabkommen zwischen EU und USA, und zu guter letzt die Vorratsdatenspeicherung. Was hier alles getrieben wird, finde ich persönlich absolut das letzte! Unter dem Deckmantel der Terrorabwehr wird die Verhältnismäßigkeit völlig außer Acht gelassen, und man als Einzelperson hat überhaupt keine Möglichkeiten, und keine Ahnung, zu wissen, wo was wie gespeichert und weitergegeben wird. Ich möchte einfach noch mal kurz zitieren:
Wo Daten sind, werden sie auch missbraucht. Ebenso, wie das mit Macht ist. Und ich persönlich bin überzeugt, dass man
nicht die Daten von einer halben Milliarde (!) Menschen braucht, um den Terrorismus zu bekämfen.
Dieser strittweise Abbau von persönlicher Freiheit ist es, der mich so aufregt. Ich kann nicht mehr darüber entscheiden, wer was von mir weiß. Wenn ich meinen Arzt anrufe: weiß das jeder. Wie oft ich ihn anrufe: weiß jeder. Von wo ich telefoniere, Mails versende, oder surfe: weiß jeder. Mit wem ich Mails tausche: weiß jeder. Es geht hier darum, Freiheiten zu erhalten, die in anderen Bereichen selbstverständlich sind: z.B. das Fernmeldegeheimnis bei der Post, die Schweigepflicht bei Ärzten, Geistlichen und Anwälten oder das Bankgeheimnis, wenn ich Onlinebanking nutze. Wieso gelten diese im Grundgesetz garantierten Rechte nicht auch im Internet? Wenn man von dem Internet als "rechtsfreiem Raum" spricht, sollte man das auch mal bedenken! Das ist die andere Seite der Medaille. Auf beiden Seiten der Front werden nur Forderungen laut: auf der einen, das Internet unangetastet zu lassen, auf der anderen Seite, das Internet vollständig unter Kontrolle zu bringen.
Dass das Internet aufgrund seiner Struktur und dem rasanten Wachstum in den letzten 10 Jahren nicht mehr die schöne Spielwiese ist, die man sich vielleicht wünscht, ist ebenso klar. Hier gibt es alles, und nicht alles davon ist auch gut. Trotzdem: Das Internet hat auch seine Regeln und gehorcht denselben Gesetzen wie die "echte Welt". Hier können genau dieselben Dinge zur Anzeige gebracht werden, die du auch auf der Straße antreffen kannst. Aber nur, weil man auch auf der Straße Verbrechen begehen kann, kontolliert noch keiner deine Post! Verstehst du, was ich meine? Als jemand, der mit dem Internet als Kommunikationsmittel Nr 1 aufgewachsen ist, und viele seiner Kontakte über das Internet pflegt, fällt es mir sehr schwer, zu verstehen, wieso das Internet eine schärfere Kontrolle und die Nutzer eine Totalüberwachung verdienen sollen.
Und hier kommt folgende Forderung ins Spiel:
Eltern muessten medienkompetenter werden (was nuetzt ein medienkompetenter alleinerziehender Vater auf Nachtschicht?), Politiker muessten Egoshooter spielen und das Urheberrecht gehoert sowieso abgeschafft.
Die Gesetze werden von Leuten gemacht, die in Teilen, wie sie bewiesen haben, keine Ahnung haben, was das Internet überhaupt ist! Ich verweise da mal auf das Video ein paar Posts über mir. Und diese Leute stützen sich auf Erzählungen, Berichte, Beschwerden, die sie von irgendwelchen Leuten gehört, gesehen oder gelesen haben. Es fehlen ihnen aber eigene Erfahrungen. Wer ein bisschen im Internet aktiv war, wird schnell merken, dass es kein "rechtsfreier Raum" ist! Es handelt sich hierbei nicht um eine große Seifenblase, in der alle ihre Verbrechen verstecken, und alle Nutzer kriminell sind! Da, wie in den Medien, aber immer nur über die Sachen berichtet wird, die nicht funktionieren, oder schlimm sind, entsteht ein Bild vom Internet, was dem echten nicht gerecht wird. Und als Nutzer vom Internet, habe ich das Gefühl, aufgrund dieses falschen Bildes kriminalisiert zu werden. Gegen mich als Internetuser besteht ein Generalsverdacht, dass ich irgendwann, irgendwie ein Verbrechen begehen werden. Und aus diesem Grund muss ich überwacht werden. Das ist absolut diskriminiered, und in der aktuellen Debatte eine Form von Rufmord. Weil ich das Internet liebe, verteidige ich Kinderpornografie und bin ein möglicher Amokläufer. So kann man doch keine Diskussion führen, wenn man sofort in eine Ecke geschoben wird.
Was hier gefordert wird, ist einfach ein bisschen Erfahrung im Hinblick auf ein Medium, das sehr neu und für viele unbekannt ist, trotzdem aber das wichtigste Kommunikationsmittel der Welt geworden ist. Und man kann keine Gesetze erlassen, wenn man nicht weiß, wie das Internet funktioniert. Das Problem, wieso die Debatte so hitzig geführt wird, ist die Tatsache, dass das Internet, Computer, Handys, etc zudem noch fest in der jungen Generation verwurzelt sind. Wir sind damit aufgewachsen, und verstehen diese Kommunikationsmittel als Weiterentwicklung von Post, Telefon und Fernsehen. Und für mich persönlich gesprochen, erfüllt es mich einfach mit Unverständnis und Wut, zu sehen, wie ignorant hier Gesetze erlassen werden, die, wenn man sie auf die analogen Medien ausdehnen würde, zu einem Aufstand im Bundestag führen würde.
Bei der gesamten Debatte, mit all ihren Facetten, geht es für mich primär nur um die Frage der Gleichberechtigung, und dem Abwenden der pauschalen Kriminalisierung. Es geht darum, Freiheiten zu wahren, die im Bezug auf die analogen Medien unantastbar sind. Niemand würde forden, ein halbes Jahr zu speichern, wem du Post schickst. Und niemand würde fordern, alle Zeitungen und Zeitschriften der Welt auf kinderpornografisches Material zu durchsuchen. Wenn ein solcher Fall entdeckt wird, wird er zur Anzeige bracht. Das muss reichen. Wieso gilt das nicht auch für das Internet?
Um zum Ende zu kommen: Ich für meinen Teil fühle mich von der aktuellen Regierung, und dem Großteil der Politiker im Bundestag nicht verstanden, nicht respektiert, und um Grunde auch nicht ernst genommen. Der Stellenwert des Internets in der heutigen Generation als "Ablösung" der alten Medien wird nicht verstanden. Es ist eben keine "parallele Welt", es ist im Bezug auf Informationsbeschaffung und Kommunikation für viele die einzige Welt. Wie viele Leute ziehen einen Brief noch einer Mail vor, wie viele Leute gehen noch in eine Bibliothek, um schnell mal ein Thema zu recherchieren, und nutzen nicht die Dienste von Google? Das Internet ist wichtig, und es verdient etwas besseres, als die totale Überwachung. Ich gebe dir dahingehend Recht, dass es eine Diskussion geben sollte, wie man das Recht im Internet besser durchsetzen kann. Aber für diese Diskussion ist es in meinen Augen erforderlich, auch auf einer Augenhöhe diskutieren zu können. Und das sehe ich momentan einfach nicht. Ich sehe nicht, wie wir gleichberechtig dazu beitragen können, unser Wissen preiszugeben, und als "Insider" unsere Wünsche, Erfahrungen und Sorgen in die Debatte einfließen zu lassen.
So. Ende erstmal. Wobei man noch so viel sagen könnte.
Bei Fragen oder Kritik, einfach melden.