Mensch ärgere Dich
Er ist Sozialdemokrat, aber manche nennen ihn deutschnational. Der Bürgermeister des Berliner Bezirks Neukölln will zeigen, dass es mit einer Unterschicht Probleme gibt, die nie in Deutschland angekommen ist.
Heinz Buschkowsky aus Berlin-Neukölln ist der umstrittenste Bürgermeister Deutschlands, weil er seit Jahren düsterste Botschaften verbreitet.
"Multikulti ist gescheitert", verkündete er 2004. Was für ein Aufschrei der Entrüstung sich da erhob. Dito, als er später von "Parallelgesellschaft" sprach. Heute wird deren Existenz nicht mehr angezweifelt, nur noch schöngeredet, von Leuten wie Günter Piening und Ülker Radziwill, aber zu denen später. Die vorerst letzte Bemerkung Buschkowskys galt dem geplanten Kinder-Betreuungsgeld: In der deutschen Unterschicht werde es versoffen, in der migrantischen käme, wenn überhaupt, die Oma; und die, muss man sich dazudenken, spricht kein Wort Deutsch und nützt dem Balg nicht viel.
Buschkowsky
Der Mann ist spontan und schlagfertig. Erscheint er auf einem Kongress, und die konfektionierten Hostessen sagen erschrocken, der Vortrag hat schon begonnen, die Tür ist zu, brummt er, "und, jeht die nich mehr uff?" Auch lässt er Sachen fallen wie "Gott sein Schrank", "Baden Würstchenberg" und "Topp, die Watte quillt", Humor des Berliner Ureinwohners, Saft aus den Wurzeln der Stadt, der manche hochmütig das Gesicht verziehen lässt, aber nicht die mit denselben Wurzeln, die lächeln offen oder versteckt und fühlen sich zu Hause, geborgen in Schnoddrigkeit.
Doch man täusche sich nicht. Seine Minen legt er mit Bedacht. "Nehmen wir den letzten Aufreger, Versaufen: Ich wusste genau, dass da die Selter hochgeht. Aber das wollte ich. Ich wollte eine Debatte über Kinder in der Unterschicht und den Unsinn des Betreuungsgeldes. Ich habe auf den Pawlowschen Reflex der Öffentlichkeit gesetzt, und es hat funktioniert."
Inszenierung, sagt Günter Piening, Migrations-Beauftragter des Berliner Senats, immer diese Inszenierung. - "Halten Sie Buschkowskys Aussagen denn für falsch?" - "Als es in den Banlieues von Paris brannte, hat er erklärt, wenn wir so weitermachen, haben wir das auch bei uns. Und das ist völlig absurd." - "Weshalb ist es absurd?" - "Weil Berlin nicht Paris ist. Die Banlieues sind außen, unsere Problembezirke liegen innen." - "Und deshalb ist es absurd?" - "Es gibt bei ihm eine Haltung, sich immer zu messen an den größten Katastrophen."
In Neukölln, wen oder was gibt es da? 214 von berlinweit registrierten 537 jugendlichen Intensivtätern. 48 waren es vor fünf Jahren. 90 Prozent der Täter sind migrantischer Herkunft, ihre Opfer sind zu 80 Prozent Deutsche. Und das ist nur die Spitze der Gewalt. Studenten, die der billigen Mieten wegen im Bezirk wohnen, berichten, es sei absolut unangemessen, Gruppen von türkischen oder arabischen Jugendlichen nach Einbruch der Dunkelheit mit offenem Blick zu begegnen, man habe den Blick unbedingt zu senken; und Buschkowsky, als er das hört, nickt nur: "Schlaue Jungs, die Studenten."
Viele, die noch schlauer sein wollen. Einer, Professor der Psychologie, sitzt mit ihm bei Maischberger, es ist eine der typischen Talkshows, eine Runde, die weniger ins Problem - Kindererziehung - dringt als ein Papierflugzeug in die Erde; ich habe es noch nie nötig gehabt zu strafen, schnurrt der Professor, lass doch, mein Junge, sage ich, und das reicht schon, man braucht nur eines, Ausstrahlung. Buschkowsky hat Mühe, sich zu zügeln, und lädt den Mann, um ihn erfahrungsmäßig ein wenig zu bereichern, nach Neukölln ein, er spricht nicht einmal von Migranten, und doch ruft der Mann, als die Mikros abgeschaltet sind, endlich sei dieses scheußliche deutschnationale Gerede vorbei.
Und das ist es auch, was Buschkowsky immer wieder in seiner Partei, der SPD, hört: Dass er dumpfste Bedürfnisse bediene. Dass er den Rechtsextremen Futter gebe, und zwar nahrhaftes. In Wahrheit steht er weiter links als alle, die ihn attackieren, es erschließt sich nur nicht gleich.
Das, was manche als deutschnationales Gerede bezeichnen, klingt so: "Die Familien, die uns Probleme bereiten, kommen aus Gegenden, wo es eine Überlebensfrage ist, ob man seine Ziegen über den Winter kriegt. Und wie man sich vor marodierenden Banden schützt. Dort existieren keine Zentralinstanzen. Der Notruf 110 ist im Dreiländereck Iran, Irak, Türkei unbekannt. Schütze dich selbst, heißt es da, die Jungs werden erzogen zu Mut und Tapferkeit. Das sind ganz andere Werte als die, die hier gefragt sind, dort stimmen sie, hier nicht. Die Jungs verstehen sich als Streetfighter. Wissen Sie, was dieser Professor von denen zu hören gekriegt hätte: Gib Uhr und Handy, bist feine deutsche Pinkel, was? Ich sag dir, bist Opfer!"
Und es klingt so: "Wir haben Schulen, wo 90 Prozent der Eltern von der Zuzahlung für Lernmittel befreit sind, das heißt, es geht so gut wie kein Elternteil arbeiten. Der Satz, ich möchte werden wie mein Vater, der ist Feuerwehrmann und rettet Menschen, kann gar nicht fallen, weil ein Erwerbsleben in dieser Sozialisation nicht stattfindet. Natürlich steht die Lehrerin auf verlorenem Posten, wenn sie sagt, Kinder, ihr müsst tüchtig lernen, dann könnt ihr einen tollen Beruf ergreifen und richtig Kohle verdienen. Frau Lehrerin, sagen dann die Kinder, das Geld kommt doch vom Amt. Wenn man Jugendliche fragt, was wollt ihr werden, antworten sie: Ich werde Hartzer."
Buschkowsky kam 1948 in Neukölln zur Welt. Er weiß selber genau, wie es ist, in schwierigen Verhältnissen zu leben. Er wuchs im Keller eines Einfamilienhauses auf, in einer Stube mit Küche. Daneben große Waschzuber. Es war ständig feucht, und sie waren zu viert in der Kemenate. Als Kind ging er auf den Feldern für eine Mark Kartoffeln stoppeln, wobei er gern ein paar Knollen liegenließ, um sie abends auszubuddeln und nach Hause zu bringen. Als 13-Jähriger erste Fabrikarbeit, Gewindedrehen, für 4,95 die Stunde. Buschkowsky war 18, als er sich sein erstes Auto kaufen konnte, einen VW-Käfer.
Die sattsam bekannte Erfolgsgeschichte, Arbeit war natürlich, Arbeit lohnte sich, mit diesen Gewissheiten ist er großgeworden. Sie gelten nicht mehr, auch das ist nichts Neues. Relativ neu ist aber die Gemengelage in Buschkowskys Bezirk, und besonders in Nordneukölln: 160 000 Einwohner, 55 Prozent von ihnen Migranten. 36 Prozent Arbeitslosigkeit. 35 Prozent aller Lernenden beenden nur die Hauptschule, 20 Prozent kommen zu gar keinem Abschluss. Migration, Bildungsferne und Erwerbslosigkeit überlappen sich. Und pflanzen sich, im Wortsinn, fort. Bevölkerungsstruktur und Geburtenraten hochgerechnet, werden in zehn Jahren in Nordneukölln drei Viertel aller Einwohner einen migrantischen Hintergrund haben. Wie viele von ihnen werden die Schule beenden, wie viele je einen Job finden oder überhaupt suchen?
Wir sind fast noch bei Maischberger. Wir sind noch gar nicht richtig drin im Problem.
Buschkowsky geht jedes Jahr in die verschiedensten Schulen, immer in die gleiche Klassenstufe, immer ins selbe Fach, der Vergleichbarkeit wegen. Meine Tournee, nennt er das. Ihm begegnen Kinder, die noch den Schlafanzug unter ihren Jeans haben. Kinder nur im T-Shirt, im Winter, mit denen die Lehrerin zu "Kik" läuft, eine Wattejacke kaufen, mit Geld aus einem Notfonds. Kinder, denen grundlegendes Wissen fehlt. Bei Buschkowskys letzter Tournee wurde im Deutschunterricht der 4. Klasse mit Büchern der 3. Klasse gearbeitet. Und selbst die erwiesen sich noch als zu schwierig. Zu Halloween liest die Lehrerin eine Geschichte vor, die beginnt so: "Finstere Gestalten schleichen durch die Straßen. Sie betreten das Haus und gehen ins zweite Stockwerk." Halt, Kinder habt ihr alles verstanden? - Buschkowsky nickt eifrig, ganz so, wie Kinder nicken. - Gut, Mohammed, was sind finstere Gestalten? - Buschkowsky zieht wortlos den Kopf ein, so, wie ertappte Kinder es tun. - Aysche, was ist ein Stockwerk? - Buschkowsky piepst: ein . . . ein Knüppel?
"Diese Kinder", sagt er, "sind nicht dümmer als die sieben Kilometer weiter im Süden. Aber es macht zu Hause niemand etwas mit ihnen. In der deutschen Unterschicht schickt die Mutter das Kind mit den Hausaufgaben zum Vater, und der Vater schnauzt, ich gucke Fußball, zieh ab. In der migrantischen Unterschicht beherrschen die Eltern die deutsche Sprache schlecht oder gar nicht. Manchmal ist es den Kindern sogar verboten, Deutsch zu sprechen, eben weil die Eltern es nicht verstehen und Angst haben, die Kinder reden über sie. Im Grunde haben wir, und jetzt sage ich wieder so einen Satz, auf den sich alle stürzen werden, nur eine Chance: Wir müssen die Kinder dieses Milieus gegen ihre Eltern erziehen. Die Eltern sind mir schnuppe. Ich will, dass die Kinder eine Chance außerhalb des Milieus kriegen."
Aber vielleicht ist es doch so, wie der Migrationschef Piening sagt, vielleicht dramatisiert der Bürgermeister? Man muss es ausschließen können. Vollkommen gültig ist nur die eigene Tournee.
Eine Ganztags-Grundschule in der Köllnischen Heide. 654 Schüler, 80 Prozent migrantisch, 80 Prozent aus sozial schwachen Familien. Rasanter Zuzug von Arabern, "bedauerlicherweise", wie Astrid-Sabine Busse, seit 18 Jahren hier Leiterin, sagt. - "Bedauerlicherweise?" - "Man kommt viel schwerer an sie heran als an die türkischen Mitbürger." - "Weswegen?" - "Sie bleiben einfach untereinander. Man muss sich hier ja auch gar nicht mehr integrieren. Man nimmt das Viertel in Besitz, und man lässt sich pampern. Ich sehe doch an den Bescheiden für Lernmittelzuschüsse, wie viel Geld in Wahrheit in diesen Familien ist, alles Sozialhilfe; wenn da viele Kinder sind, ergibt das 3000, 3500 Euro. Einmal rief "Mona Lisa" an. Die wollten eine Sendung über Kinderarmut unter Migranten machen. Ist ganz unpassend bei uns, habe ich gesagt, aber arme berufstätige Menschen hätte ich zu bieten, meine Küchenfrauen, die kriegen sieben Euro brutto, und es ist ein Knochenjob, die arbeiten und arbeiten, und diese anderen Menschen arbeiten nicht und haben mehr. Wissen Sie, wie viel Sozialhilfe jeden Monat allein an die Eltern meiner Schule rausgegeben wird? 400 000 Euro!"
Im Vergleich zur Schulleiterin Busse ist Bürgermeister Buschkowsky fast ein zahmer Redner. Keine falsche Rücksichtnahme mehr, Schluss mit den Tabus. Oder, wie Buschkowsky sagt, der dabei Lassalle zitiert: "Jede politische Aktion beginnt mit dem Aussprechen dessen, was ist."
Im Grunde sind er und sie nah bei Thilo Sarrazin, mit einem Unterschied: Der hat immer am Schreibtisch gesessen, Buschkowskys und Busses Reden sind das Ergebnis eigener Erfahrung. Und noch jemand ist nicht weit weg von Sarrazin, er erwähnt sogar von selber den wegen missliebiger Äußerungen kritisierten Bundesbanker, er sagt, "vielleicht fünf bis zehn Sätze zu viel hat Sarrazin gesprochen, aber grundsätzlich trifft seine Analyse zu", und dieser Jemand heißt Mustafa Akcay und ist stellvertretender Vorsitzender des Türkisch-Deutschen Zentrums in Berlin.
Ein Gastarbeiter der ersten Generation. Nilgün Hascelik wiederum, Generalsekretärin des Zentrums, ist die Tochter solcher Gastarbeiter. Ihr Vater hat in der Gießerei geschafft, ihre Mutter als Montiererin. Auch diese beiden sprachen kaum Deutsch, doch haben sie ihre Mädchen angehalten, es zu lernen. "Nur eine Kleinigkeit vielleicht", sagt Nilgün Hascelik, "aber wir hatten einen deutschen Steuerberater, der kam zu uns nach Hause, und der brachte auch seine Frau mit. Grundsätzlich herrschte ein anderes Arbeitsethos und eine andere Moral. Man wollte ehrlich was schaffen, mit seinen eigenen Händen. Und deshalb war man, trotz mancher Probleme, ganz anders angesehen als heute. Heute besagen immer mehr Blicke: Ihr Sozialschmarotzer!"
Alles änderte sich mit den Einwanderern der achtziger und neunziger Jahre. "Den Flüchtlingen, Scheinflüchtlingen und Armutsmigranten", wie Buschkowsky sagt. Nicht wenige kamen aus dem Libanon, waren aber kurdische Großfamilien. Man erinnere sich der Sozialhilfezahlen, die Astrid-Sabine Busse nannte. Man erinnere sich der Ziegen, die Buschkowsky erwähnte. Man bringe beides zusammen; Buschkowsky tut das: "Diese Familien erhalten hier im Monat das Zehnfache von dem, was sie dort bestenfalls im Jahr verdienen könnten. Ihr Gebet lautet nicht: Allah, gib, dass ich mich aus meinen prekären Verhältnissen befreien kann, sondern: Bitte tu alles, dass unser Leben bleibt, wie es ist. Und natürlich unterstützen sie noch die Familien in der Heimat. Buschkowsky ist ein Spinner, denken Sie jetzt vielleicht, wie kann man denn von Hartz IV anderen Geld abgeben? Weil Konsumverhalten und Standards bei Kleidung und Wohnungseinrichtung anders sind. Kinder haben keine Betten, sondern nur Matratzen, es fehlen Tische, die Hausaufgaben werden liegend auf der Erde gemacht. Und immer ist der Flachbildschirm an, immer."
Die Schulleiterin Busse hat eingeführt, dass die Kinder von 7.30 bis 8 Uhr erscheinen und der Unterricht um 8.15 beginnt. Damit das Fernsehflimmern aus den Augen weicht. Auch, damit die dicken Autos nicht alle zugleich in die schmale Straße rollen und dort einen gehörigen Stau verursachen. Entspannter soll es zugehen.
"Es ist wahr, was wahr ist", hatte Mustafa Akcay gesagt, und wahr ist, dass an Frau Busses Schule zu Versammlungen aller Klassen kaum 50 türkische Eltern erscheinen und nicht mehr als eine Handvoll arabische. Wahr ist, dass an einigen Nordneuköllner Schulen die Quote der Schüler, die mehr als 21 unentschuldigte Fehltage haben, knapp 25 Prozent beträgt. Wahr ist, dass Frau Busse immer wieder Eltern einlädt und Tacheles mit ihnen redet: Sie kriegen hier so viel Geld, Herr X, und warum? Weil unter anderem ich es erwirtschafte, aber Sie haben auch Pflichten, Erziehungspflichten. Nur nützt es selten was. Und es nützte auch nichts, als die für Neukölln zuständige Jugendrichterin Kirsten Heisig diese Eltern über arabische Verbände einlud. Es kamen nur Vertreter jener Verbände und abweisende Väter. "Einer schwang seine Gebetskette vor meiner Nase und sagte, ich habe elf Kinder, und meine Töchter sind meine Ehre, sie sollen gute Hausfrauen und Mütter werden und brauchen keinen Schulabschluss - nur um mir das mitzuteilen, war der erschienen."
Wenn man Ülker Radziwill, der Migrationsfrau der Landes-SPD, davon berichtet, ist sie weder irritiert noch hoffnungslos, sie hatte die ganze Zeit von Anreizen und Verständnis und noch lange nicht ausgeschöpften Instrumenten geredet und von positiven Beispielen aus ihrem Kiez, und wo liegt der, in Charlottenburg, und sie sagt jetzt, man könne mit diesen Leuten durchaus in einen Dialog treten, sie glaube es ganz, ganz fest, man müsse es nur immer weiter versuchen.
"Weichspülprogramm", sagt Frau Busse. "Ich hab es so satt, das Gelaber", sagt Frau Heisig. Beide wissen, dass es mancherorts schon zu spät ist und sich eine neue Mehrheitsgesellschaft gebildet hat, eine aggressive. Kirsten Heisig vernimmt ja viele Lehrer als Zeugen, und sie erfährt von Schuleingängen, durch die keine deutschen Schüler mehr dürfen, nur muslimische, die Mehrheit sorgt dafür, so wie sie dafür sorgt, dass nur sie bestimmte Toiletten benutzen darf; und Kirsten Heisig erfährt von deutschen Schülern, die keine Salami mehr auf ihre Brote wollen, denn in der Salami ist Schweinefleisch, und das kommt gar nicht gut in diesem Umfeld.
"Man stelle es sich umgedreht vor", sagt Kirsten Heisig. "Wir hätten eine dreifache Lichterkette rund um Berlin."
Und vielleicht ist genau das der Kern der Geschichte: Dass es einmal umgedreht war und die Deutschen, Verursacher einer gewaltigen Katastrophe, seitdem lieb sein wollen gegenüber allen, die zu ihnen kommen - auch zu denen, die selber nicht ganz so lieb sind; es hat sich so eingebürgert.
Buschkowsky, das geht oft unter, ist auch lieb. Er fördert und macht und tut. Es gibt in Neukölln die Stadtteilmütter, Migrantinnen, die er hat schulen lassen und die hinter die Türen zu gelangen versuchen, welche den Deutschen verschlossen bleiben. Er hat in jeder Problemschule Stationen mit Sozialarbeitern eingerichtet. Buschkowsky hat, zusammen mit Christina Rau als Schirmherrin, aus der berüchtigten Rütli-Schule einen hochmodernen Campus gemacht, gerade war Einweihung. Er hat einen Herzinfarkt gehabt und hat nur noch einen Teil seines Darms und er hat dem Türkisch-Deutschen Zentrum zu Räumen im Rathaus verholfen, damit Mustafa Akcays Mitarbeiter dem Bezirksamt und dessen migrantischen Kunden zur Hand gehen können. Akcay schüttelt noch heute seinen Kopf über den Schneid, den Buschkowsky in der Bezirksverordnetenversammlung zeigte. CDU und FDP zeterten, wieso sollen die Türken hier rein, und auch noch mietfrei. "Er hat uns bis aufs Messer verteidigt, ganz allein. Und so ist es bis heute geblieben. Wenn wir Hilfe brauchen, ist er da."
Wenn aber alles Fördern doch nur verhallt, ist Buschkowsky genauso strikt fürs Fordern. Fürs Sanktionieren. Fahre ich nachts um zwei über eine rote Ampel, sagt er, gibt's Punkte und 150 Euro Strafe. "Doch wenn Eltern ihre Kinder vernachlässigen, wenn grundlegende Werte und Normen der Gesellschaft missachtet werden, zeigen wir uns zahnlos." Kommt's Kind nicht in die Schule, kommt's Geld nicht aufs Konto, fordert er. Und weil er weiß, dass so etwas hier nicht durchsetzbar ist, lässt er, als einziger Bürgermeister in Berlin, die penetrantesten Schulschwänzer polizeilich zuführen. Die Richterin Kirsten Heisig führt Bußgeldverfahren gegen die Eltern, und sagen die, Hartz IV, wir sind so arm, ordnet sie Ratenzahlung an. Manchmal verschreibt sie Jugendlichen auch eine Melange aus Gefängnis und Schulbesuch. Jemand ist zum wiederholten Male gewalttätig geworden, sagen wir, an einem Dienstag um elf. Er hätte in der Schule sein müssen. "Du kriegst vier Wochen Knast", erklärt sie ihm, "immer nur eine Woche, zwischendurch gehst du zur Schule, und wir, mein Freund, gucken, ob du da wirklich antrittst."
Dafür kriegte Heisig in der Presse den Titel "Schrecken von Neukölln" - als ob sie der Schrecken wäre. Und Buschkowsky bezeichnet sich in feiner Kenntnis der Lage als "Nestbeschmutzer der Sozen".
Niemand der hoch und höchst postierten Leute will mit ihm spielen. Und doch erscheint immer mal wieder einer bei ihm, undercover, und er, Buschkowsky, geht abends nach Hause und sagt nicht ohne Stolz zu seiner Frau: Weißt du, wer heute bei mir saß? Wieder eine Spitze der Gesellschaft, die erfahren wollte, was wirklich los ist. Das Problem mit all diesen Spitzen ist nur, dass sich die hierbei gewonnenen Erkenntnisse keineswegs in ihrem Reden und Handeln widerspiegeln, weshalb Buschkowsky von unverminderter Ignoranz der großen Politik spricht.
Genaugenommen hat er damit allerdings unrecht. Eher handelt es sich um Bigotterie und Feigheit.
Buschkowsky hat bei dem Kongress, dem mit den Hostessen, natürlich die Tür geöffnet und gesprochen, dazu war er ja eingeladen worden. Wie immer tat er es schonungslos kritisch, und als er fertig war, sind ein paar Kreisfunktionäre der SPD aufgestanden und haben sich von der Seele geredet, wie es bei ihnen ist, in Augsburg, in Wesel. Genauso wie in Neukölln, nur eine Nummer kleiner eben.
Die Erkenntnis war nicht unbedingt neu für ihn, er fand es nur ganz nett, dass jetzt andere damit herausgerückt waren.