Ach, zu dem Thema muss ich auch nochmal meinen Senf loswerden.
Vor zwei Jahren und noch viel mehr vor 4 Jahren gab es ja hitzige Diskussionen zur Frage des "gesunden Patriotismus". Damals haben viele, wie ein Jugendlicher, der endlich Bier trinken darf, ein bisschen übertrieben. Inzwischen hat es sich eingependelt. Niemand fährt nach der WM noch mit Fähnchen am Auto und der strunzdämliche Satz "endlich darf man mal wieder stolz auf Deutschland sein" ist auch nur noch selten zu hören. Die Deutschen machen auch bei diesem Thema keine Ausnahme: gefreut wird sich zur rechten Zeit, inklusive Fähnchen am Auto und auf der Wange. Und nach dem Spiel wird alles wieder, Ordnung muss sein, eingemottet bis zur nächsten EM/WM. Klischeebehafteter geht es fast gar nicht.
Auch der deutsche Fußball bleibt vertraut. Die Taktik ändert sich, die Außenwirkung bleibt gleich. Trotz Offensivfußball, Multikulti-Team und U21-Mentalität werden viele Gegner gnadenlos und effizient vernichtet. Das Bild der erbarmungslosen Panzer - check.
Ich bin weiterhin froh darüber, dass wir hier in Deutschland eigentlich fast alle relativ normal ticken und nicht blind irgendwelchen nationalen Parolen hinterherrennen. Und das hat sich auch durch die letzten Fußballereignisse kaum verändert. Wenn man mich fragen würde: "was ist schlimmer: 1,2% NPD oder 15% FDP?" wäre meine Antwort so deutlich wie Herr Westerwelle inkompetent. Schön zu sehen ist eigentlich, dass unser Ruf im Ausland besser wird. Dazu hat 2006 ganz sicher beigetragen.
Letztendlich ist der von dir angesprochene "Deppenpatriotismus" also weitaus weniger feindlich und destruktiv, als ihn der Verfasser des Artikels gerne haben möchte. Er ist 1. kontrolliert, da nur temporär, 2. stark fußballgebunden und damit eher sportlich als national und 3. komplett ohne Feindbild.
Problematisch ist er in ganz anderer Hinsicht: er macht ganz Deutschland für 30 Tage blind. In der Zeit könnte man vermutlich Westerwelle zum Bundeskanzler und Präsident gleichzeitig ernennen und niemand würde etwas merken. Das macht etwas traurig. Die von der Klatschpresse verordnete, einmonatige Feierlaune lädt ja geradezu dazu ein, in der Zeit totalen Unsinn zu veranstalten.
Ich bin auch nach wie vor nicht stolz auf dieses Land. Stolz bin ich auf das, was ich erreicht habe. Bald 5 Jahre Luxx-Member wäre so eine Sache.
Ich bin aber extrem froh, hier leben zu dürfen (war ja schließlich ein evolutionärer Zufall) und fühle mich sehr wohl. Und glaube auch, dass Deutschland generell und Deutsche im Speziellen ihre Sache in der Welt ziemlich gut machen. Wenn man sich anguckt, was nicht nur in Krisenregionen dieser Erde passiert, sondern auch in Ländern, die einmal unser Vorbild waren, geht es uns schon ziemlich gut und beneiden uns vermutlich viele. Mein persönlicher Wunsch ist es, dass das ständige Gelaber über unsere "multikulturelle" Fußballmannschaft vielleicht mal dazu führt, dass sich sowohl "perspektivlose" Migrantenkids als auch Politiker mal ein Beispiel an dem System DFB nehmen. Kurz gesagt: Mesut Özil als Identifikationsfigur ist mir 1000x lieber als Lena, Heidi Klum oder Dirk Bach. Ich hoffe, dass da ein Signal ausgeht. Dann hätte diese WM doch noch ein gutes Ende.
So, das wars.