Ich will nicht eindimensional sein:
Das jüngste Gesicht
Die Suzuki GSX 600 F liefert einen anschaulichen Beweis für die Leistungsfähigkeit der plastischen Chirurgie - dank umfangreicher kosmetischer Retuschen ist die altgediente Maschine nicht wiederzuerkennen.
Quelle: Motorrad-Zeitschrift Heft 3 - 1998
Die GSX 600 F bringt unterm Strich alle Voraussetzungen mit, um der Konkurrenz, allen voran der CBR 600 F von Honda, die Stirn zu bieten“ - so analysierte Tester Mini Koch in MOTORRAD 3/1988 die Chancen des damals brandneuen Suzuki-Mittelklasse-Sportlers.
Zehn Jahre später rangiert besagte Honda, mittlerweile soundsooft modellgepflegt, immer noch im Spitzenfeld der 600er Leistungsgesellschaft, während sich die GSX 600 F ohne nennenswerten Widerstand dem Alterungsprozeß ergeben und der Rolle des sportlich ambitionierten Heißsporns im Lauf der Zeit den Rücken gekehrt hat.
Was nicht heißt, daß die „F“ über die Jahre Ihren Daseinszweck verloren hätte. Im Gegenteil: Genug Leistung für zügiges Vorankommen, ein Fahrwerk ohne gravierende Schwächen, eine Verkleidung gegen das Gröbste, ein Kaufpreis, der nicht schwach macht - mit diesem Angebotsspektrum jenseits allen zeitgemäßen Spezialistentums und jenseits ernsthafter Konkurrenz kam die GSX gut über die Jahre.
Um gleichwohl der Gefahr des Rückschritts durch Stillstand vorzubeugen - wer weiß schließlich, wie lange die Mitbewerber im gehobenen Brot und Butter-Segment noch zu schlafen gedenken -, hat Suzuki die 600 F nun erstmals in ihrer Karriere einem spektakulären Facelift unterzogen.
Spektakulär, weil die Maschine mit ihrer markanten Scheinwerferbrille und den zwischen Rubens und Bio-Design schwelgenden Formen auf den ersten Blick wie ein völlig neues Motorrad anmutet. Spektakulär aber auch, weil ihre gestalterische Runderneuerung einen hohen Reiz auf die Geschmacksnerven der interessierten Umwelt ausübt. Wobei sich die Zustimmung - so das Ergebnis einer nicht repräsentativen Umfrage - eher in Grenzen hält. Vorsichtig ausgedrückt.
Unter ihrer kontrovers diskutierten Schale ist die GSX 600 F jedoch die alte geblieben, sieht man einmal davon ab, daß der Motor „dank“ kleinerer Vergaser und einer Vier-in-eins-Auspuffanlage nominell sechs PS eingebüßt hat. Gleichwohl beschleunigt die mit knapp 230 Kilogramm nicht gerade leichtgewichtige Maschine standesgemäß und überscheitet souverän die 200-km/h-Marke. Obendrein tut sie dies, ohne mit lästigen Vibrationen zu nerven. Alles wie gehabt also.
Leider ist es - ebenso wie gehabt - mit der Leistungsfähigkeit des Vierzylinders in der unteren Hälfte seines Drehzahlbands nicht weit her. Erst ab 7000/min kommt richtig Leben in die Bude - schaltfaules Fahren und gehobene Fahrdynamik sind mit diesem Antrieb nicht unter einen Hut zu bekommen. Daß der Motor obendrein mit einem störrisch schaltenden Sechsganggetriebe kommuniziert, macht es nicht verlockender, sich auf dessen „sportliche“ Art der Kraftentfaltung einzulassen.
Leichter fällt es, der Benutzeroberfäche der GSX-F unter dem Strich Beifall zu spenden. Die ergonomischen Gegebenheiten sorgen bei einer Körpergröße um die einsachtzig für eine Fahrhaltung mit leicht nach vorn gelehntem Oberkörper und relativ stark angewinkelten Unterschenkeln - richtig für versammelt-konzentriertes Kurvenräubern wie für ausdauerndes Kilometerfressen bei hohen Geschwindigkeiten. Kleinere Fahrer(innen) müssen sich ein wenig nach den Lenkerhälften strecken, haben aber dafür im Stand sicheren Boden unter den Füßen. Ungeteilte Zustimmung findet die Verkleidung, die dem Oberkörper guten Windschutz bietet und den Kopfbereich vor Verwirbelungen verschont. Zufriedene Mienen gibt`s auch angesichts des übersichtlichen und appetitlich aufbereiteten Cockpits sowie perfekter Lenkerarmaturen. Lob ist schließlich noch aus der hinteren Reihe zu vernehmen: Dort bietet die F genügend Freiraum für dauerhafte Zweierbeziehungen.
Für den anhaltenden und ungetrübten Genuß ihres Fahrleistungspotentials setzt die neue GSX 600 F auf altgediene Technik. Lediglich kleine Korrekturen an Radstand (plus 40 Millimeter), Lenkkopfwinkel (minus 0,6 Grad) und Reifendimensonen (120/70-17 und 150/70-17 statt 110/80-17 und 140/80-17) kennzeichnen den Modellwechsel. Korrekturen freilich, die ihre Wirkung nicht verfehlen: Unreinheiten im Geradeauslauf bei hohen Geschwindigkeiten und die Neigung zu Eigenlenkverhalten auf holprigem Untergrund - beides Schwachpunkte des Vormodells - sind kein Thema mehr. Geblieben sind die Vorzüge des F-Chassis: akkurates, leichtfüßiges Handling und Immunität gegen Kursabweichungen beim Verzögern in Schräglage. Wobei das Kapitel Bremsen für sich betrachtet kein Ruhmesblatt ist: Die vordere Doppelscheibenanlage, nunmehr mit Doppelkolben- statt Vierkolbenzangen bestückt, verlangt viel Handkraft und gibt wenig Rückmeldung - gefühlvolles Dosieren ist da Fehlanzeige.
Rückmeldung über den jeweiligen Sraßenzustand hingegen geben die Federungselemente. Ihr Ansprechverhalten ist bescheiden, und obendrein ist die Hinterhand so straff ausgelegt, daß erst im Soziusbetrieb so etwas wie Federungskomfort zustandekommt. So geschieht es bei schneller Fahrt auf richtig schlechten Sraße nicht selten, daß es den Solisten als Spielball der Massenkräfte von der Sitzbank katapultiert. Ein Trost in diesem Zusammenhang: Der Gewinn an Fahrstabilität (siehe oben) verhindert immerhin, daß die neue GSX 600 F bei derartigen Gelegenheiten Gefahr läuft, kopfschüttelnd ihr Gesicht zu verlieren.
Mein Fazit
Kleider machen Motorräder. Frisch in Schale geworfen - ob die mit ihren aufreizenden Rundungen nun gefällt oder nicht -,streift die GSX 600 F äußerlich ganz locker die Last der Jahre ab. Das neue Erscheinungsbild kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie in ihrer Substanz die alte geblieben ist. Das enttäuscht, weil der Motor nach wie vor eine unharmonische Leistungsentfaltung besitzt. Das ist aber auch gut, weil das Fahrwerk - nicht zuletzt dank konservativer Reifendimensionen - einerseits alte Handlingtugenden bewahrt, andererseits aber alte Stabilitätsprobleme bewältigt hat. Vor allem aber gut, weil der Rückgriff auf altgediente Technik eine Preisgestaltung ermöglicht, die es leicht macht, großzügig über konzeptionelle Schwächen hinwegzusehen.
Jürgen Schmitz