Drei Kameras reichen (nicht immer) für die Spitze
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Unübersehbar ist aber nicht nur die Display-Aussparung, sondern auch das Kamera-Trio auf der Rückseite, dessen optische Gestaltung ausbaufähig ist - dazu später mehr. Nach Ansicht von Huawei wird die dritte Kamera benötigt, um die Bildqualität auf ein höheres Niveau zu bringen. Ob das wirklich nötig ist, dürfte bereits zu vielen Diskussionen geführt haben. Denn schon das Argument, dass man zwei Kameras für bestimmte Effekte in mehr als befriedigender Qualität benötigt, wurde mehr oder minder schnell wiederlegt - man erinnere sich an das Google Pixel 2, das mit nur einer Kamera ein beeindruckendes Bokeh simulieren kann.
Rein technisch betrachtet ist die Triple-Kamera des P20 Pro, an deren Entwicklung Leica wieder teilweise beteiligt war, aber zweifelsohne vergleichsweise beeindruckend. Die Hauptkamera bietet einen RGB-Sensor mit 40 Megapixeln und Quad-Bayer-Matrix, die Optik verfügt über Blende f/1,8. Beim zweiten, rein monochrom arbeitenden Sensor setzt Huawei auf 20 Megapixel sowie eine Optik mit Blende f/1,6. An dritter Stelle folgt ein 8-Megapixel-Sensor in RGB-Ausführung in Verbindung mit einer Teleoptik (f/2,4). Ein sehr großes Fragezeichen steht hinter der Stabilisierung. Huawei selbst spricht nur bei der dritten Kamera von einer optischen Lösung (OIS), die Experten von iFixit haben jedoch an jedem der drei Module einen OIS entdeckt. Warum die zwei zusätzlichen verschwiegen werden, ist nicht klar. Es könnte jedoch mit der Stabilisierung bei Videoaufnahmen zu tun haben. Die erfolgt nach Angaben des Herstellers im Wesentlichen KI-basiert. Naheliegend wäre aber, dass die beiden nicht genannten Stabilisatoren den Großteil der Arbeit übernehmen und die künstliche Intelligenz wenig bis gar nichts beisteuert. Dafür würde auch sprechen, dass die Videostabilisierung nur bei geringen Auflösungen und Bildwiederholraten genutzt werden kann. Eine Einschränkung, die bei viele Smartphones mit OIS-gestützter Video-Stabilisierung anzutreffen ist.
Bezüglich des Zusammenspiels der drei Kameras gibt es hingegen keinen Spielraum für Interpretationen. In fast allen Modi arbeiten Primär- und Sekundärkamera Hand in Hand, das Festhalten von Farben, Helligkeit und Details wird bestmöglich aufgeteilt. Wie die 40 Megapixel der Primärkamera konkret eingesetzt werden, hängt allerdings vom Nutzer ab. Belässt er es bei der Werkseinstellung (10 Megapixel), nutzt das P20 Pro die als Pixel Binnung bekannte Funktion zum Zusammenfassen von mehreren Pixeln. Die verwendete Quad-Bayer-Matrix macht aus vier kleinen Segmenten mit jeweils gleichem Farbanteil (Rot, Grün, Blau) einen größeren. Vereinfacht ausgedrückt: Aus vier echten Pixeln wird ein simuliertes größeres Pixel, das vor allem bei schlechten Lichtverhältnissen hilfreich sein soll.
Wird hingegen die volle Auflösung aktiviert, entfällt das Pixel Binning. Die dritte Kamera wird aktiv, wenn die Zoom-Funktion genutzt wird. Auf Knopfdruck wird dabei zwischen einfachem, dreifachem und fünffachem Zoom gewechselt. Bei letzterem handelt es sich um einen Hybrid-Zoom, es findet also eine digitale Vergrößerung statt. Bei guten Lichtverhältnissen sind die Ergebnisse meist gut, auch wenn es sichtbare Qualitätseinbußen gegenüber dreifachem und einfachem Zoom gibt. Scharfgestellt wird abhängig von der jeweiligen Situation per Laser, Phasenvergleich, Kontrast- oder Tiefenmessung. Für zusätzliches Licht sorgen zwei LEDs.
Insgesamt fällt die Qualität der Fotos gut bis sehr gut aus. Bei Tageslicht werden Farben, Details und Helligkeitsunterschiede überzeugend festgehalten, auch hinsichtlich der Bildschärfe gibt es nichts zu kritisieren. Beim Einsatz des Fünffach-Zooms fällt auf, dass die Aufnahmen oftmals etwas dunkler und weniger scharf ausfallen. Schärfe fehlt auch dann, wenn die Auflösung auf 40 Megapixel angehoben wird - das Pixel Binning liefert auch bei guten Lichtverhältnissen bessere Ergebnisse. Bildrauschen ist meist nicht zu erkennen. Einziger echter Kritikpunkt: Bei sehr hohem Grünanteil des Motivs driftet das Bild teilweise ins Gelbe ab.
Bei schlechten Lichtverhältnissen macht sich das Pixel Binnung noch stärker bemerkbar. Das Rauschverhalten ist weitestgehend gut, Helligkeitsunterschiede werden zuverlässig festgehalten, nur die Gesamthelligkeit stimmt oftmals nicht mit der Realität über ein. Die Aufnahmen sind dann minimal zu dunkel. Im Gegenzug lassen sich allerdings selbst im Vollautomatikmodus etwas hellere Sterne und Vergleichbares problemlos festhalten. Auf den Zoom sollte man aber verzichten, entsprechende Aufnahmen enttäuschen durch Detailschwäche und Rauschen.
Der Einsatz des Nachmodus' ist nur dann eine gute Wahl, wenn der aufzunehmende Bereich frei von hellen künstlichen Lichtquellen ist. Denn die sorgen für deutlich sichtbares Bildrauschen und ein tendenziell zu helles Bild. Zudem erfordert der Modus - wie auch bei früheren Huawei-Smartphones - aufgrund der langen Belichtungszeit einen festen Stand für gute Ergebnisse. Ist eine künstliche Lichtquelle vorhanden, sollte eher zum Modus Lichtmalerei gegriffen werden. Der ist zwar eigentlich für sich bewegende leuchtende Motive gedacht, bietet aber eine bessere automatische Anpassung der Parameter. Eine gute Alternative ist zudem der Pro-Modus, der dem Nutzer wie gewohnt viele Freiheiten einräumt.
Im direkten Vergleich mit dem Google Pixel 2 XL (Test) und Samsung Galaxy S9+ (Test) zeigt sich jedoch, dass das P20 Pro nicht durchgängig die besten Aufnahmen liefert. Beinhaltet die Aufnahme beispielsweise viele Pflanzen mit diversen Grüntönen, schneidet das Pixel 2 XL besser ab. Hier werden Unterschiede noch feiner festgehalten, auch die Helligkeit liegt dichter an der Realität. Anders sieht es hingegen aus, wenn viel Himmel zu sehen ist: Während das P20 Pro hier feine Verläufe gut abbildet, gehen sie beim Pixel 2 XL größtenteils verloren, das Galaxy S9+ landet in der Mitte zwischen den beiden.
In der Dämmerung landet Huawei ebenfalls vorne, dicht gefolgt von Samsung, bei dem in erster Linie ein leichtes Abrutschen in Richtung Rot und Lila stört. Google dreht hingegen zu stark an der Helligkeit. Ähnlich sieht es bei nochmals schlechteren Lichtverhältnissen aus, auch hier liefert das Pixel 2 XL zu helle Aufnahmen. Das Galaxy S9+ landet in diesem Punkt fast auf dem gleichen Niveau wie das P20 Pro. Die gleiche Reihenfolge gibt es in der Kategorie Bildrauschen, eine andere hingegen in Bezug auf die Schärfe. Hier landet das Samsung knapp vor Huawei auf dem ersten Platz, das Google-Handy verschluckt hingegen viele Kleinigkeiten, was für einen leicht verwaschenen Eindruck sorgt. Dennoch hält das Pixel 2 XL Dinge wie schwach leuchtende Sterne besser fest als das P20 Pro. Ob Huawei die derzeit beste Smartphone-Kamera liefert, hängt somit vom Einsatzgebiet ab.
Daran ändert auch die Master AI genannte KI nichts, die wie schon beim Mate 10 Pro in erster Linie Motive erkennen und die Einstellungen entsprechend anpassen soll. Insgesamt sollen 19 unterschiedlichen Szenarien wie Blumen, Strand, Essen und Hund erkannt werden. Die Erkennungsrate lag erfreulicherweise höher als beim Mate 10 Pro, dennoch leistet sich das P20 Pro nach wie vor einige grobe Schnitzer. So wurde im Test ein leerer Teller als „Essen" erkannt, mit Obst bestückt erfolgte hingegen keine Erkennung. Probleme gab es häufiger zudem mit den Modi Porträt und Blumen. Arbeitet die KI hingegen korrekt, sind die Auswirkungen klar erkennbar. Da es sich in erster Linie aber nur um Farbkorrekturen und Kontrasanpassungen handelt, die zu oft zu übertrieben ausfallen, handelt es sich bei Master AI eher um eine Spielerei als um eine echte Hilfe für Fotografieneulinge.
Für Videos gelten grundsätzlich die gleichen Stärken und Schwächen. Hinzu kommen aber von der Auflösung und Bildwiederholrate abhängigen weitere Punkte. Das Maximum liegt bei 2160p30 (4K), zur Auswahl stehen unter anderem auch 1080p30 und 1080p60. Bei letztgenannter Aufstellung kam es im Test häufiger zu Problemen mit dem Autofokus, im 4K-Modus muss auf die Stabilisierung (gilt auch für 1080p60) und Clips mit einer Länger von mehr als 10 Minuten verzichtet werden. Ähnlich wie Samsung und Sony bietet auch Huawei nun Zeitlupenaufnahmen mit 960 Bildern pro Sekunde an, die Qualität der Ergebnisse ist oftmals aber Glückssache. Denn das Auslösen erfolgt anders als beim Galaxy S9 nur manuelle, der Nutzer muss als im richtigen Moment drücken. Zudem sinkt die Qualität schnell, wenn die Lichtverhältnisse nicht optimal sind. Zudem wird die Auflösung auf 720p reduiziert.
Die Kamera-App ist nach wie vor übersichtlich gestaltet, sofern man nicht in den Tiefen der Einstellungen einen bestimmten Punkt sucht. Denn so manche Option wird nur aufgelistet, wenn zuvor der entsprechende Modus aktiviert worden ist. Im Pro-Modus werden Anfänger gut an die Hand genommen, zudem ist in diesem das Speichern von Fotos im RAW-Format möglich, was die spätere Bearbeitung erleichtert. Andere erwähnenswerte Punkte: Videos lassen sich wahlweise als H.264 oder H.265 speichern, eine HDR-Automatik gibt es bei Huawei weiterhin nicht.