Ich denke, dass der - historisch begründete - Fehler war, Medizin und Psychologie zu trennen. Für damalige Mediziner klangen Freuds und Jungs Ansichten über Träume als Verarbeitungsprozesse und Nachrichten aus dem Unbewussten wahrscheinlich wie esoterischer Hokuspokus.
Wahrscheinlich ist aus der Zeit auch das leicht überhebliche "Schmuddelecke"-Narrativ bei manchen Medizinern bis heute präsent.
Freud war ursprünglich Neurologe. Freud war übrigens zu keinem Zeitpunkt Psychologe (im heutigen Sinne). Er hat die Psychoanalyse gegründet. Er war somit der erste Psychoanalytiker.
Freuds Idee war dass die Neurowissenschaften (zu seiner Zeit gab es den Begriff noch nicht) nicht weit genug entwickelt waren um psychische Erkrankungen auf der neuronalen (biologischen) Ebene zu erforschen.
Deshalb hat er als Methode die Psychoanalyse entwickelt.
CG Jung finde ich interessant, habe auch viel von ihm gelesen. Aber seine "Individualpsychologie" ist so eine bunte Mischung: man findet hier und da gute Ideen, aber meiner Ansicht nach auch viel Unsinn. Wir haben in unserer Forschungsgruppe einen Psychoanalytiker aus der Jungschen Schule, der ist eben gleichzeitig auch Neurowissenschaftler. Es gibt ja auch heute viele Leute die Neurowissenschaften und Psychoanalyse versuchen zu verbinden, wie z.B. Mark Solms.
Das Therapie jedoch bei verschiedenen emotionalen und Verhaltensstörungen nachhaltig wirkt ist aber nunmal ein Fakt, wohingegen Medikamente bei gleicher Symptomatik ihre Wirkung nach Absetzung rasch verliert
(Siehe auch unter
https://www.spektrum.de/news/psychotherapie-was-tatsaechlich-wirkt/1991017).
Ich weiß, habe ja auch nie gegen die kognitiv behaviorale Therapie oder so per se "gebash". Es gibt gute Therapeuten, genauso wie es beschissene Therapeuten gibt. So wie in jedem Beruf halt.
Wenn man es so lesen möchte, dann wäre es ein 1:0 für Psychologie gegen klassischer, eher pharmazeutisch-orientierter, Medizin für bestimmte Symptome, die nicht mal eben so per Bluttest diagnostiziert werden können.
Stimmt, aber man kann sie relativ gut via neuronaler Dynamiken feststellen, nämlich weil Depression, Manie, Schizophrenie, über nahezu alle Betroffenen gleiche grundsätzliche Muster aufweisen, aber das Thema führt hier zu weit. Da kommen wir auch zum nächsten Punkt wo ich dir absolut zustimme.
So infantil sollte man die Sache mMn jedoch nicht sehen. Medizin und Psychologie gehören für mich zusammen, wie ich es anfangs erwähnt habe.
Das scheint aber auch mittlerweile immer mehr im modernen Zeitgeist angekommen zu sein, wo in Forschung eher ein holistischer Ansatz gilt.
Bestes Beispiel dazu liefern die aktuelleren Erkenntnisse, die Zusammenhänge zwischen Ernährung, bzw dem Bakterium im Darm, und Depressionen feststellen können und so beweisen, dass es enorm wichtig ist den Menschen in all seinen Facetten als Ganzes wahrzunehmen.
Ich sehe es auch so wie du alles alles zusammen gehört, interdisziplinär: Phänomenologie, Psychiatrie, Psychologie, Neurowissenschaften, Medizin...
Es sind alles verschiedene Betrachtungen auf einen Prozess. In unserem Körper laufen bestimmte physiologische Dynamiken ab. In psychiatrischen Erkrankungen sind diese verändert.
- Die Neurowissenschaften beschreibt und erklärt diese aus der dritten-person-perspektive, also aus einer biologischen und neuronalen Sicht.
- Die Psychologie macht es ebenfalls aus der dritten-person-perspektive, aber über kognitive, emotionale, behaviorale Konzepte und Modelle.
- Phänomenologie versucht es aus der ersten-person-perspektive, da wird z.B. viel am center for subjectivity research in Kopenhagen gemacht, die haben auch Checklisten bzw. Fragebögen für psychiatrische Erkrankungen entwickelt:
https://cfs.ku.dk/
Deshalb: wenn man den Menschen in seinem Erleben und Verhalten beschreiben und erklären will benötigt man Wissen in vielen Bereichen: Biologie, Psychologie, Philosophie, etc. Das lässt sich in der Wissenschaft ja auch alles kombinieren. Ich mache das auch, ich analysiere z.B. gleichzeitig Dynamiken von Inputs (z.B. Filme, visuell und auditory inputs). Dann analysiere ich das Gehirn, wie reagiert es darauf, wie enkodiert es inputs? Dann kann ich Verhalten analysieren das über psychologische Daten in der Studie auch aufgenommen wurde. Ich fasse mal zusammen:
1. Analyse der Inputs (hier muss man Ahnung haben wie man die verarbeitet, welche Dynamiken z.B. visuelle und auditorische Inputs haben, mit welchen Tools man die messen kann etc pp.
2. Analyse des Gehirns: man kann die gleichen Tools und Messungen anwenden um z.B. zu checken wie das Gehirn inputs matcht.
3. Analyse des Verhaltens (motor output des Menschen): psychologische und behaviorale Daten.
Damit hat man den kompletten loop vom input, über das gehirn, hin zum output. Und das kann man nur analysieren und schaffen wenn man von jeder Ebene Ahnung hat. Wenn man nur vom Gehirn, oder nur von Psychologie, oder nur über input dynamiken Ahnung hat, dann würde man es nicht schaffen.
Ich will damit nur unterstreichen dass ich dir Recht gebe: interdisciplinary research is the way to go, there is no way around it today in this science