[...] aber die sehen ja noch gut aus, warum sollte ich die Kondensatoren tauschen?
Optik ≠ Funktion ≠ Sicherheit!
Einleitung
Man liest es ja immer mal wieder, egal ob hier oder in anderen Foren... Jemand kauft sich ein altes Mainboard / eine alte Grafikkarte / ein altes Netzteil / was auch immer und hey,
die Kondensatoren sind optisch unauffällig. Keine Wölbung. Kein ausgelaufenes Elektrolyt. Keine sonstigen optischen Auffälligkeiten irgendeiner Art. Also werden sie drauf gelassen, denn
"...die sind ja noch gut."
Wenn dann das Stück Hardware sogar auch noch läuft, fühlen sich die Nutzer meistens sicher und / oder in ihrer Annahme bestätigt, dass ja alles in bester Ordnung ist. Was sie aber oftmals nicht wissen, ist dass der
Feind unsichtbar ist und sich für das normale Multimeter gut zu verstecken weiß in der Grundproblematik einer RMS Messung.
Um dafür endlich mal eine anschauliche Darstellung zu erstellen, bin ich auf die Suche gegangen nach einem Board in meinem Bestand, welches drei Kriterien erfüllt:
- Ursprünglicher Bestückungszustand der Kondensatoren
- Die Kondensatoren dürfen allesamt nicht optisch auffällig sein
- Das Board muss in der Bestückung mindestens anlaufen
Klingt einfacher als es ist..
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Nach fünf Versuchen mit verschiedenen Kandidaten war dann endlich eines gefunden, welches diese Kriterien erfüllt:
Das
Asrock K7S8X.
Dieses ist sekundärseitig mit ab Werk mit
Sanyo WG bestückt und zwar
4x 3300µF / 6,3V, ESR12 und 2800mA Ripple – die typische MBZ / KZG / HM Ultra-Low-ESR Liga also.
Testsetup
Mainboard: AsRock K7S8X – Sockel A ca. 250 KHz Schaltfrequenz
CPU: AMD Athlon XP 3200+ @ default, 1,65V
Netzteil: Corsair CX850M
Bestückung: 4x Sanyo WG 3300µF / 6,3V (Original) || 4x Panasonic FR 3300µF / 16V || 4x KEMET A750 2200µF 6,3V || 4x KEMET A750 2200µF 16V
Ursprungszustand (Sanyo WG):
Macht euch bereit für eine wilde Fahrt auf dem Vcore Signal:
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Na, zu viel versprochen? Also, hier sehen wir mal, was mit der Original Bestückung des Boards dem 3200+ zugemutet wird. Statt der erwarteten 1,65V sehen wir hier
Spikes von etwa 1,80V im Maximum und
Drops runter bis zu etwa 1,58V – wie gesagt,
bei optisch völlig unauffälligen Caps und selbst später im LCR Tester eingespannt, lagen diese Kondensatoren bei gemessenen Werten beim ESR von
ESR11 bis ESR22, also gar nicht mal sooo weit ab von den Specs im Vergleich zu dem, was bei richtig auffälligen Kandidaten gemessen werden kann.
Peak to Peak haben wir in diesem Falle etwa
217mV Ripple im Durchschnitt und das wohlgemerkt bei Caps, die im LCR Tester noch
relativ harmlos aussehen.
Es sollte sich nun also jeder vorstellen können, in welche Richtung das eskalieren kann, wenn die Kondensatoren richtig durchgekocht sind und deren Filterleistung noch schlechter oder quasi gar nicht mehr vorhanden ist. Die CPU in diesem Falle bekommt also hier grob gesagt für kurze Momente im Schaltzyklus etwa
250.000 Mal pro Sekunde 1,8V gedrückt und das in diesem Falle wie gesagt mit noch "relativ guten" Kondensatoren. Stünden an der Stelle noch schlechtere oder teildefekte Bestückungen, kann das auch schnell in noch höhere Richtungen gehen.
Auf Dauer sorgt das dafür, dass die Komponente "zerrippelt" wird, also die Spikes in der Spannungsversorgung die Komponente kurz- oder mittelfristig grillen. Bei einer CPU geht es je nach Art und Strukturbreite vielleicht etwas länger gut, bis sich das massiv zeigt, aber man stelle sich das mal bei Chipsätzen, RAM oder GPUs vor, die teilweise deutlich empfindlicher auf hohe Spannung reagieren und / oder dadurch auch thermisch in Bereiche gebracht werden, für die sie eigentlich nicht ausgelegt sind, z.B. auf Grund mangelnder oder nicht vorhandener Kühlung o.ä.. Es ist also nicht verwunderlich, wenn die Hardware dann einfach irgendwann stirbt.
Ersetzung 1: Panasonic FR 3300µF / 16V in 12,5mm Durchmesser
Dieses Board ist eines der wenigen, wo die sekundärseitigen Kondensatoren so weit auseinander stehen, bzw. so viel Spielraum vorhanden ist, dass man ausnahmsweise mal die 3300er Pana FR in 16V Ausführung setzen kann, die mit
ESR13 und 3.630mA Ripple zumindest vom ESR her so gerade eben die Sanyo WG lt. Datenblatt erreichen. Gemessen im LCR Tester liegen die Pana FR für diesen Test alle
zwischen ESR10 und ESR13, also recht nah am Datenblatt und somit ausreichend für diesen Test. Dennoch ist das keine Empfehlung für dieses Board, denn 12,5 x 30 sieht einfach optisch echt nicht schön aus
Aber schauen wir mal, wie die Spannung aussieht:
Schau an, das sieht schon ganz anders aus. Statt
vorher durchschnittlich 217mV Ripple bei den original Sanyos, sehen wir nun in der Peak to Peak Messung nur noch
durchschnittlich 34,6mV Ripple und die Spannung schwankt zwischen etwa
1,69V im Maximum und etwa 1,66V im Minimum. Eingestellt sind 1,65V, also neigt das Board dazu leicht zu Overvolten und im Schnitt irgendwo bei etwa 1,67V zu landen.
Ich vermute die leichte Überspannung ist dem Umstand geschuldet, dass das Board nur eine 2 Phasen Stromversorgung bietet und man sicherstellen wollte, dass die Drops möglichst nie unterhalb der eingestellten Spannung landen.
Auf jeden Fall ist das hier eine Spannung, die sauber genug ist, um keine Hardware damit zu gefährden. Schauen wir kurz ins Histogramm:
Keine großen Ausreißer auch bei etwa 2.000 Samples spielt sich alles irgendwo um die
34,6mV Ripple im Durchschnitt ab.
So weit, so gut, schauen wir doch mal, ob wir das noch etwas verbessern können und greifen mal zurück auf die gerne genommenen:
Ersetzung 2: KEMET A750 2200µF / 16V
Hier passiert nun, was auf Low-End Boards und / oder weniger als 3 Phasen Spannungsversorgung gerne mal passiert:
...Klingeling! Die A750 in 2200µF mit
16V Rating bringen im LCR Tester für diese Batch einen ESR zwischen
ESR7 und ESR9 mit und das ist dem Regelkreis scheinbar zu straff. Wir haben hier ein ordentlich klingelndes Signal und bekommen keine stabile Spannung zustande – das Board
verweigert die Funktion und kein Bild lässt sich dem K7S8X mehr entlocken.
Also was tun? In diesem Falle kommt die schlechtere Performance der
6,3V Varianten dieses Kondensators endlich mal als Vorteil daher
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:
Ersetzung 3: KEMET A750 2200µF / 6,3V
Dieser Satz Kondensatoren misst im LCR Meter einen ESR zwischen
ESR10 und ESR16, was im Schnitt wieder dafür sorgt, dass wir in einem Bereich landen, mit dem das Board wieder gut klar kommt:
Interessant zu bemerken ist hier, dass die Polymere eine andere Filtercharakteristik in dieser Schaltung zeigen, was HF Spikes anbelangt, denn die kurzen, "starken" Spikes, die bei den
Panasonic FR noch im Signal sichtbar waren, sind hier zwar auch noch im Ansatz zu erkennen, aber deutlich weniger stark ausgeprägt und von den durchschnittlich
34,6mV der Panasonic FR kommen wir mit den
A750 nochmal etwas weiter runter auf eine Restwelligkeit
Peak to Peak von durchschnittlich 14,3mV.
Die CPU Spannung schwankt nun nur noch zwischen etwa
1,657V und 1,67V im Minimum und Maximum.
Wenn man das nun vergleicht mit der Eingangsmessung im Originalzustand, sollte spätestens jetzt jedem klar sein, warum es niemals eine gute Idee ist, die originalen Kondensatoren von vor 20-30 Jahren auf einem alten Stück Hardware zu belassen.
Auch hier noch kurz ein Blick ins Histogramm:
Hier bestätigt sich das gute Bild der A750 Bestückung
in 6,3V Ausführung mit einem recht engen Bereich von etwa 13,6mV bis 14,9mV und rund 14,3mV im Durchschnitt. Es gibt nur sehr wenige Ausreißer bei etwas über 2.000 Samples, die dann
im Maximum bis 17mV reichen, was immer noch rund
die Hälfte von dem ist, was die Panasonic FR im Minimum aufweisen.
Zusammenfassung Messergebnisse
Messung | Sanyo WG 3.300µF / 6,3V (Original) | Panasonic FR 3.300µF / 16V | KEMET A750 2200µF / 6,3V | KEMET A750 2200µF / 16V |
---|
Gemessener ESR @100KHz | min. ESR11 | max. ESR22 | ø ESR16 | min. ESR10 | max. ESR13 | ø ESR11,2 | min. ESR10 | max. ESR16 | ø ESR13 | min. ESR7 | max. ESR9 | ø ESR8 |
Ripple Gesamt Sekundärseite | min. 73mV | max. 238mV | ø 217mV | min. 33,6mV | max. 37,3mV | ø 34,6mV | min. 13,3mV | max. 17,0mV | ø 14,3mV | VRM instabil, kein Start möglich |
CPU Spannung (Soll: 1,65V) | min. ca. 1,58V | max. ca. 1,80V | min. ca. 1,66V | max. ca. 1,69V | min. ca. 1,657V | max. ca. 1,670V | VRM instabil, kein Start möglich |
Fazit
Alte Kondensatoren gehören getauscht PUNKT. Egal wie "gut" sie noch aussehen.
Ich habe hier bewusst, wie eingangs erwähnt, einen Testkandidaten herausgesucht, wo die typischen "alles noch gut Kriterien" zutreffen, denn das sind meist die Konstellationen, bei denen das Risiko als sehr gering interpretiert wird, was aber ein ziemlicher Trugschluss sein kann, wie es die Messung hier zeigt. Wie zwischendurch erwähnt, sind die originalen Sanyo WG laut LCR Tester zwar nicht mehr die frischesten Kandidaten, aber bei den Werten würde man keine so dramatische Verschlechterung der Filterleistung vermuten, wie es dann doch am Oszilloskop deutlich wird.
Belässt man so alte Kondensatoren also an Ort und Stelle, ist das in vielen Fällen für die Hardware dahinter ein vorprogrammierter beschleunigter Tod, den man ohne solche Hilfsmittel nicht kommen sieht, denn ein normales Multimeter wird wacker einfach irgendwas um die 1,6X Volt anzeigen und den Nutzer
in falscher Sicherheit wiegen.
Noch dazu kommt das hohe Risiko, dass diese chemisch tlw. sehr instabilen Ultra-Low-ESR Kondensatoren bereits so weit vorgeschädigt sein können oder im laufenden Betrieb geschädigt werden, dass es jederzeit zu einem katastrophalen Versagen kommen kann und die Kondensatoren einfach explodieren und die dahinter liegende Hardware mit in den Tod reißen.
Im Grunde genommen muss man sich also klar sein, dass man ohne eine korrekte Instandsetzung, in den allermeisten Fällen, kurz- oder mittelfristig den Tod der Hardware erwarten kann, auf die eine oder andere Weise. Es kann ein paar Monate gut gehen, es kann eine Woche gut gehen, es kann eine Stunde gut gehen, es kann beim ersten Einschalten knallen und der Raum füllt sich mit schönsten Düften.
Fakt ist, man sitzt in den meisten Fällen auf einer tickenden Zeitbombe, die egal wie gut sie vielleicht noch aussieht, mit hoher Wahrscheinlichkeit das vielleicht teuer ergatterte oder seltene Stück Hardware entweder mehr oder minder merklich degenerieren wird, sodass z.B. Instabilitäten auftreten, OC Ergebnisse nicht mehr erreicht werden können oder die Komponente schlichtweg getötet wird.